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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Max Klinger: Dem großen Toten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0248

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Max Klinger f.

wenn er" oder „hätte er noch länger" braucht
den Kopf zu erheben aus den Lorbeeren und
Rosen um seinen Sarg. Sein Werk steht da,
groß, gewaltig, vom Basenzögern bis zur Bluten-
schwellung der Säulenwelt — fertig und voll-
kommen. Es fehlt nichts — und von diesem
Gesichtspunkte aus darf sich unsere Trauer in
weihevolle Dankesfreude verwandeln, in einen
stillen Lobgesang des Herzens auf die Wunder
der Vorsehung bei der Vollendung eines sol-
chen Menschenlebens.

Man wird nun ihm, der es wie kein Anderer
verstand, durch seine Kunst die Verdienste
Anderer zu ehren, ein liebender Diener aller
Größe zu sein, ein Denkmal setzen müssen.

Doch ach — wo ist die kundige Hand zu
finden, die einen Stein so klingen machen könnte,
wie e r es konnte.

Wehmütig halten die Freunde Umschau —
wo ist der Meister, der auf der Stätte, da sein
Sterbliches schläft, ihm den Denkstein errichtet,
wo ist das glühende Herz, das wie das seine,
in Liebe und Hingabe sich in fremder Größe ver-
zehren kann? Suchen wir unter den Alten!
Ach, wer ist unter ihnen, den Denkstein zu
errichten? — Und wenn er mit Menschen- und
mit Engelszungen zu reden vermöchte — die
Kinder der neuen Zeit werden ihn nicht hören
wollen! Und einer der schaffenden Jungen,
einer, der aus dem Geist der letzten Zeit em-
porgebürgten? — Könnte ihr stürmendes Sin-
nen, gepeitscht von der jugendlichen Ehrfurcht
des „a(JLStvovs? £ou,ev jrwclpwv" sich dazu ver-
stehen, der Größe von Gestern ein Denkmal zu
errichten? Könnte überhaupt die Sprache des
sehnenden Chaos, des Ur- und Neumenschen-
stammelns, einen Funken Hoffnung auf würdiges
Ehrenwort für den ergeben, der ein sonniges
Hellas, und die Ideen eines Piatos in nordische
Fluren verpflanzte?

Sie rufen — aber der Ruf verhallt! Der, der
dem großen Denkmalsetzer ein würdiges Denk-
mal setzen könnte — er ist nicht da, diese Zeit
hat ihn nicht gezeugt!

So wollen wir einen gewaltigen Quaderstein
nehmen, ungeheuer, von unentrückbarer Zent-
nerlast, und wir wollen ihn auf sein Grab legen,
daß niemand an den Gebeinen dessen rühre,
der der Größten einer unseres Volkes war, und
ein Steinmetz soll mit schlichten, ehrwürdigen
Buchstaben darauf schreiben: MAX KLINGER.
Unter diesem Quadersteine soll er ruhen.
Mögen die ewig wechselfrohen Herzen der Men-
schenkinder den Weg zu seiner Stätte verwach-
sen lassen, mögen wilde Rosen ihn umwuchern,

*

eines Tages, vielleicht in vielen Jahren, wird der
Junge kommen, der Sucher, der Träumer, der
Sohn des Faust! Der wird das Dickicht der
Vergessenheit zerstampfen und sich mit dem
Schwerte Bahn brechen zur heiligen Grabstätte!
Und der Stein wird bei seinem Nahen erklingen.
Musik aus den Tiefen der Dämonen, Musik aus
den lichten Höhen der Sphären wird ihn um-
zittern. Und auf dem Steine wird lächelnd der
alte Meister sitzen, mit flammendem Haar, über-
menschlich an Größe und in seiner Hand wird
ein goldner Bogen sein und Pfeile werden neben
ihm liegen, blanke spitze Pfeile aus Gold. Und
er wird den jungen Kömmling zu sich auf den
Stein laden und wird ihn lehren, den Bogen zu
spannen und die Pfeile zu versenden, die wie
Sonnenblitze das Dunkel der Welt erhellen.

Und während sie so handeln, lehrend und
lernend, wird sich der Stein, von Riesennacken
emporgehoben, vom Boden aufrecken und er
wird sich weiten und breiten und es wird sich
aus ihm eine herrliche Insel gestalten, mit Bergen
und Klüften, mit Wiesen und Pappelbäumen und
Tempeln aus Marmor und rings umher das end-
lose Meer mit weißen Wellenkämmen. Und
glückliche Menschen in Schönheit werden den
Knaben umgeben, weißnackige Frauen mit um-
schatteten fragenden Blicken, Knaben, gebräunt
in Spielenslust und mit straffen Muskeln, Ehr-
furcht und Sehnen in Sonnenaugen! Und sie
werden ihm huldigen als ihrem rechtmäßigen
König, als den Erben des versunkenen Hellas,
das wieder einmal erlöst aus den Tiefen empor-
gestiegen ist. Er aber wird wohnen in dem
geheimen Königszelt, darin die Braut geboren
wurde und dessen Wände die Teppiche sind
mit den ungezählten Tieren und den ungezählten
Bäumen und den ungezählten Menschen, die
Penelope, die ewig umworbene, webte, Pene-
lope, die große Mutter Natur! Und in seinen
Nächten wird er darin Lust und süße Not der
Liebe, Anziehung und Abstoßung, Raserei und
Verschmelzung und die große Einsamkeit der
Vielsamen fühlen!

Und der Tag wird süßen Kampf bedeuten um
Welten und Erkenntnisse, Kampf, Brust an
Brust mit den Größten um das Größte, wie ihn der
alte König auch kämpfte, ehe er verklärt ward.

Und die ungeborenen Kinder einer noch un-
geborenen Zeit werden dieses Wunder sprach-
los anstaunen, wie etwas ganz Neues und beten
zu dem Sohn und Erben des alten Schöpfer-
geistes, der immer wieder, wenn seine Zeit
gekommen ist, die Welt mit dem unsterblichen
Hellenentraum erhellt und beglückt! Hardenberg.
*
 
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