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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Schneider, Otto Albert: Maurice de Vlaminck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0285

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MAURICE DE

Dieser in Paris geborene Maler stammt aus
flämischem Blut. Seine Art zu sehen wird
bestimmt von jener vollblütigen Sinnlichkeit,
die von jeher ein besonderes Merkmal der
Kunst in dem Lande des Rubens und Jordens
gewesen ist. Darum steht er den Bestrebungen
um eine neue Mystik, die sich von der Natur-
erscheinung abwendet, die allenfalls noch Ele-
mente der Realität in freiester Umbildung ver-
wendet, um ein Übersinnliches im gemalten
Symbol zu geben, durchaus fremd gegenüber.
Ihn interessiert lediglich die Umwelt und in
erster Linie die Landschaft. Diese seine in-
brünstige Liebe zu Straßen und Plätzen, Häu-
sern und Gärten, zum Wasser, zur Luft, dieses
starke kosmische Gefühl ist es, was ihn mit
den Impressionisten verbindet. Und es ist
vor allem ein Meister der impressionistischen
Epoche, dem er mit seiner Anschauung nahe
steht: Cezanne. Nicht, daß er, wie so viele
Nachläufer, diesem Großen gewisse Äußerlich-
keiten der Perspektive oder der Pinselschrift,
nicht daß er ihm ein koloristisches Rezept ver-
dankte. Was ihn neben den Franzosen rückt,
ist die außerordentliche Gabe, auch die un-

VLAMINCK.

scheinbarste Materie kostbar zu machen durch
malerische Beseelung.

Vlaminck ist ein Künstler, der einer Zeit, die
den „Naturalismus" überwinden zu müssen
glaubt, weil er sich erschöpft habe, durch sein
gesund naives Schaffen den Beweis erbringt,
wie viele Möglichkeiten noch aus der sichtbaren
Welt heraus zu holen sind, wenn ein unbe-
fangenes Auge und eine von keinerlei Kunst-
theorien unsicher gemachte Hand sie zu ge-
stalten unternimmt. Es lebt in ihm nicht die
dämonische Phantastik eines Münch, der die
Wirklichkeit zur gespenstischen Vision steigert.
Er wühlt sich auch nicht in das Problem der
sichtbaren Dinge hinein mit der überreizten Glut
eines van Gogh. Und doch drängt sich neben
der romanisch verfeinerten Sinnlichkeit in dieser
Kunst ein Moment auf, der sie germanischem
Empfinden nahebringt: eben jenes tiefe Welt-
gefühl, jenes Bewußtsein vom großenZusammen-
hang der Dinge, das über das Sinnliche hinaus
ein Werk der Malerei bedeutend zu machen weiß.

Vlaminck ist alles andere als ein Grübler,
wie die genannten Germanen. Aber es ist auch
in seiner Landschaftskunst ein Metaphysisches

XXIII. September 1930. 1
 
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