Tendenziöse Kunst.
MAURICE DE VLAMINGK.
»PORT MARLY« GEMÄLDE.
SAMMLUNG A. CAHKN-l'ÜLN.
Schichtsklitterung verfolgt wurde, strahlt jetzt
die Apotheose der Weltrevolution. Die Tendenz
ist in unsere heutige Kunst unlösbar verstrickt.
Sie ist ihr Rückgrat.
Nun ist nur die Frage, ob sie dem Künst-
lerischen nicht schadet, ob sie sich überhaupt
mit Kunst verträgt. —
Gehen wir die Kunstgeschichte rückwärts, so
merken wir staunend, daß es eine Kunst ohne
Tendenz, ein l'art pour l'art, in den besten
Zeiten überhaupt nie gegeben hat. Am Nil wie
amEuphrat dienten Tempel, Pyramiden, Statuen,
Reliefs ausschließlich der Verherrlichung von
Göttern und Königen. Die Heldenhaftigkeit der
Könige wurde ins Riesige gesteigert, die Unter-
tanen, die fremden Völker erscheinen vor ihnen
wie Zwerge. Soweit die Reliefs geschichtliche
Darstellungen sind, sind sie Entstellung. Der
Chauvinismus feiert Orgien. Hat dies dem Kunst-
wert der ägyptischen und assyrischen Werke
geschadet? Hat nicht vielmehr der Wille zur
Verherrlichung gerade den Stil groß, den Aus-
druck stark, den Vortrag volltönend gemacht ?
Niemals hätte die griechische Plastik diese wun-
derbare Vollendung erklommen, wenn nicht die
Verherrlichung ihrer Götter, ihrer Helden,
ihrer Rasse sie von Anfang leidenschaftlich
beherrscht hätte. Sie kämpften wie Israel für
den Ruhm ihres Gottes, sie kämpften mit ihren
Kunstwerken. Stets fühlten sich ihre Künstler
als Vorkämpfer griechischer Kultur gegen die
Barbaren ringsum. Ihre Kunst war in hohem
Grade Staatskunst. Sie wurde nicht nur von
der Polis bezahlt! Tempel, Statuen, Theater,
Gedichte, sie dienten der Verherrlichung der
Stadt und ihrer großen Männer. Instinktiv
wurde damals schon der Wert der Kulturpro-
paganda erkannt, die uns so garnicht gelingen
will. Freilich, die lobenswerte Tendenz allein
tut es nicht, wenn nicht künstlerisches Können
dahinter steckt. Aber die griechische Geschichte
zeigt eine auffällige Parallele zwischen dem An-
schwellen und Verebben der politischen Energie
und den Höhepunkten ihrer Kunst. Die tech-
nische Fertigkeit allein hätte auch nicht das
letzte Flügelrauschen des griechischen Geistes
MAURICE DE VLAMINGK.
»PORT MARLY« GEMÄLDE.
SAMMLUNG A. CAHKN-l'ÜLN.
Schichtsklitterung verfolgt wurde, strahlt jetzt
die Apotheose der Weltrevolution. Die Tendenz
ist in unsere heutige Kunst unlösbar verstrickt.
Sie ist ihr Rückgrat.
Nun ist nur die Frage, ob sie dem Künst-
lerischen nicht schadet, ob sie sich überhaupt
mit Kunst verträgt. —
Gehen wir die Kunstgeschichte rückwärts, so
merken wir staunend, daß es eine Kunst ohne
Tendenz, ein l'art pour l'art, in den besten
Zeiten überhaupt nie gegeben hat. Am Nil wie
amEuphrat dienten Tempel, Pyramiden, Statuen,
Reliefs ausschließlich der Verherrlichung von
Göttern und Königen. Die Heldenhaftigkeit der
Könige wurde ins Riesige gesteigert, die Unter-
tanen, die fremden Völker erscheinen vor ihnen
wie Zwerge. Soweit die Reliefs geschichtliche
Darstellungen sind, sind sie Entstellung. Der
Chauvinismus feiert Orgien. Hat dies dem Kunst-
wert der ägyptischen und assyrischen Werke
geschadet? Hat nicht vielmehr der Wille zur
Verherrlichung gerade den Stil groß, den Aus-
druck stark, den Vortrag volltönend gemacht ?
Niemals hätte die griechische Plastik diese wun-
derbare Vollendung erklommen, wenn nicht die
Verherrlichung ihrer Götter, ihrer Helden,
ihrer Rasse sie von Anfang leidenschaftlich
beherrscht hätte. Sie kämpften wie Israel für
den Ruhm ihres Gottes, sie kämpften mit ihren
Kunstwerken. Stets fühlten sich ihre Künstler
als Vorkämpfer griechischer Kultur gegen die
Barbaren ringsum. Ihre Kunst war in hohem
Grade Staatskunst. Sie wurde nicht nur von
der Polis bezahlt! Tempel, Statuen, Theater,
Gedichte, sie dienten der Verherrlichung der
Stadt und ihrer großen Männer. Instinktiv
wurde damals schon der Wert der Kulturpro-
paganda erkannt, die uns so garnicht gelingen
will. Freilich, die lobenswerte Tendenz allein
tut es nicht, wenn nicht künstlerisches Können
dahinter steckt. Aber die griechische Geschichte
zeigt eine auffällige Parallele zwischen dem An-
schwellen und Verebben der politischen Energie
und den Höhepunkten ihrer Kunst. Die tech-
nische Fertigkeit allein hätte auch nicht das
letzte Flügelrauschen des griechischen Geistes