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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Jaumann, Anton: Tendenziöse Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0295

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Tendenziöse Kunst.

MAURICE DK VLAMINCK.

»HÜGELKETTE BEI RUEIL«

SAMMLUNG: SILBKR-BARMEN.

Bilder anstrebten, verkennt ihr Wesen stark.
Sie haben ihre Meisterwerke der hohen Er-
regung zu verdanken, sie fühlten sich als Pro-
pheten einer neuen Wahrheit, einer neuen Ge-
sinnung, einer neuen, der Lichtreligion. Und
fast alle waren sie Fanatiker, wenn auch nicht
jeder mit der gleichen, verzehrenden Hingabe
wie Van Gogh.

Freilich tritt die Tendenz in verschiedener
Gestalt auf, aber frei davon ist große Kunst fast
nie. Hat Dostojewsky sein Allrussentum, Tol-
stoi sein Pietismus und Pazifismus, Gerhart
Hauptmann die soziale Ader geschadet? Haben
sie nicht gerade daraus die hochgespannte Ar-
beitsenergie, die seelische Erhebung, die Glut
der Gefühle geschöpft?

Voraussetzung ist nun allerdings, daß die
Tendenz dieser seelischen Erhebung nicht direkt
entgegenwirkt. Und das ist der Fall, wenn die
Tendenz bestellt, bezahlt ist, wenn sie nicht
mit der Überzeugung des Künstlers überein-
stimmt. Patriotismus für den Schulbuchgebrauch
wird niemals ein starkes Ge dicht erstehen lassen.
Wer die Armut malt, nur weil es Mode und

einträglich, der bringt eben nur ein Modebild
zuwege. So ist es auch heute. Der Umsturz
aller Werte, das Hereinspielen der Politik, das
wird unserer bildenden Kunst nicht schaden,
wenn tatsächlich eine innere Anteilnahme vor-
liegt. Brennt wirklich Feuer, so kann sich die
Phantasie daran entzünden. Selbst Zorn, Em-
pörung, Haß sind fruchtbar, soweit sie mit Herz-
blut arbeiten. Heuchelei jedoch treibt taube
Blüten. Was schäbig, heimtückisch, kleinlich
gemeint, wird sich auch keine große und reine
Form als Ausdruck finden.

Die Kunst steht nicht isoliert zwischen den
übrigen Lebensäußerungen. Architektur ist Ge-
staltung des Bauens, Dichtung formvolles Reden.
Wie wir uns auch äußern mögen, durch Worte,
durch Handlungen, durch Werke, stets suchen
wir auch irgendwie den Mitmenschen damit zu
beeinflussen. Kunst will wirken, und beson-
ders die Malerei wirbt und predigt, stachelt die
Sinne auf und den Geist, will den Menschen
packen. Soweit sie das tut, soweit sie also
Tendenz ist, ist sie auch — im tieferen Sinne

- Kunst............... ANTON JAUMANN.

XXIII. September 1920. 2
 
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