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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Ritter, Heinrich: Kunstwerk und Kunsttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0304

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Kunstwerk und Kunsttlieorie.

MAX UNOLD—MÜNCHEN.

»KARTOFFELN« 1911.

lerische Strebensziel aufgetaucht und dann das
Kunstwerk; als sei das Kunstwerk die Ver-
wirklichung eines vorher bestehenden, program-
matischen Erkennens, einer zunächst gedanklich
erfaßten theoretischen Einsicht. Jede dieser
Theorien beruft sich auf allgemeine Denknot-
wendigkeiten, entwickelt sich unter Bezugneh-
mung auf ewige Werte und behauptet, eine de-
finitive, allgemein gültige Einsicht vorzutragen.

Aber es geht diesen Denknotwendigkeiten
im Bereich der Kunst genau so, wie es dem
Denken im allgemeinen geht: es tritt auf mit
dem Anspruch vollkommener Freiheit und Selb-
ständigkeit, aber es steht im Dienste einer hö-
heren Macht, des Wollens, des Affekts. Der
Intellekt ist Diener des Willens — diese alte
voluntaristische Wahrheit, von Schopenhauer
und Nietzsche mit größtem Nachdruck neu for-
muliert, gilt nirgends klarer als in der Kunst-
erörterung. Das Wollen ist das Primäre. Und
dem Wollen liefern Verstand und Theorie die
logischen, ästhetischen, sittlichen Begründungen.
Aus Erwägungen, Reflexionen, theoretischen
Ein-und Absichten entspringt niemals eine neue

Wendung in der Kunst. Sondern ein neues
Kunstwollen taucht aus der Tiefe und Not der
Zeit auf. Ein neues Müssen kommt aus ver-
ändertem Weltgefühl und aus dem Schwung der
Entwicklung. Dann! erst tritt als Späteres die
Theorie hinzu und formuliert Ziele, deutet klar-
bewußte Absicht in das Geschehen hinein und
gibt ihm die ewige, verstandesmäßige Grundlage.

Aber gerade dieses Streben der Theorie,
eine neue Kunstrichtung als zeitlose Notwendig-
keit hinzustellen, sie in allgemeinen Denknormen
und Kunstgesetzen zu verankern, verschuldet
jene sonderbare Vieldeutigkeit, die aller
Kunsttheorie anhaftet. Keine Theorie löst alles
Wesentliche der zu ihr gehörigen Kunstwirklich-
keit restlos in Begriff und Einsicht auf. Früher
oder später kommt es zu weithin sichtbaren
Überschneidungen von beiden. Und es zeigt
sich klar, daß das Eigentliche und Feste in jeder
Kunstrichtung das besondere Wollen ist,
das sich fern der Verstandessphäre auswirkt
und der bestimmenden Einwirkung des Begriffs
durchaus entzogen ist. Wir lesen bei Schelling
theoretische Kunstanschauungen, die schön und

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