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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Ritter, Heinrich: Kunstwerk und Kunsttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0306

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Kunstwerk und Kunsttheorie.

kräftig sind und einer starken Kunstepoche auf
den Leib geschrieben scheinen. Dann aber
sehen wir, daß sie jenes Nazarenertum in der
Malerei zu decken bestimmt waren, in dem wir
heute solche Züge als charakteristisch empfin-
den, die Schelling nicht gesehen hat. Wir sehen
Schwächen, die ihm unbegreiflich entgingen,
wir sehen Entlehnung, Abhängigkeit, Archais-
mus, Ohnmacht, wo er urwüchsiges, idealisti-
sches Bilden zu finden meinte. Die Theorie und
die Wirklichkeit des entsprechenden Kunst-
schaffens überschneiden sich schließlich in gro-
tesker Weise, und klar tritt der ungelöste
Restbestand an Wollen im Kunstwerk her-
vor, den keine theoretische Erwägung einzu-
fangen imstande ist. Die Theorie ist vieldeutig,
das Kunstwerk ist eindeutig, weil es Wille ist.
Kluge und gute Dinge sagte uns sogar die Theo-
rie des Jugendstils, und wir erschrecken, wenn
wir sehen, was die Kunst dieser Zeit nun an
Form wirklich aus diesen Einsichten erzeugt
hat. Ins Ungeheuerliche wächst die Diskrepanz
zwischen Kunstwerk und theoretischer oder
ästhetischer Betrachtung, wenn ein Zeitgenosse
Grünewalds dessen Bilder als zierlich und lieb-
lich bezeichnet oder wenn ein geschulter Kunst-

betrachter allen Ernstes eine Parallele F. Erler-
Michelangelo zieht (wie dies Albert Dresdner be-
gegnet ist). Ähnliches wird sich später zweifel-
los aus einem Vergleich zwischen expressio-
nistischer Theorie und Praxis ergeben.

Nie spricht die Theorie das Wesentliche und
Entscheidende des zu ihr gehörigen Kunst-
schaffens aus, sondern dies geht in der Tiefe
und Dumpfheit des Wollens vor sich. Und nur
weil dies so ist; weil Kunstschaffen kräftiges,
gebundenes Wollen ist, nur deshalb gibt es in
der Kunst Entwicklung, Bewegung, Umsturz
und ewigen Reiz neuer Eroberungen. . . . h. k.
£

Es ist ja natürlich, daß der Spezialist irgend-
eines Faches leicht vergißt, wozu das Fach
eigentlich da ist. Das trifft im allgemeinen die Ge-
lehrten geradeso, wie die Maler und Bildhauer,
die Musiker und Dichter. Das Virtuosen- und
Spezialistentum ist an der Tagesordnung, junge
Leute nur bauen Weltanschauungen — freilich
auch unter dem Gesichtswinkel des eigenen Fa-
ches. Im allgemeinen sitzt also jeder im Zentrum
des engen Netzes, in das er sich eingesponnen
hat, fängt ein, was da hereinfliegt, und läßt die
Menschheit als Ganzes laufen, jos. strzygowski.

MAX UNOLD-MÜNCHEN. »LANDBRÜCKE« 1912.
 
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