Kunst und Bildung.
BRUNO PAUL. •»KACHELOFEN IM HERRENZIMMER«
Bildung für die Kunst verzich-
ten. Zu wahrer Größe vermag
sich ein Kunstwerk immer nur
dann zu erheben, wenn sein
Schöpfer eine Persönlichkeit
ist. Zur Persönlichkeit aber
bildet sich ein Künstler immer
nur dann aus, wenn ein zentrales
Selbst sich reiche Erfahrungen
und tiefe Erlebnisse einverleibt.
— Die Gefahr liegt für eine
Kunst, die auf „Bildung" ver-
zichtet, in chaotischen Auswir-
kungen. Nicht an sich ist der
Expressionismus, der das Innen-
leben betont, unkulturell, aber
er wird es, wo dieses Innen-
leben verarmt und ohne Diszi-
plin des Gestaltungsdranges sich
in nervöser Hast subjektiv ver-
ausgabt, ehe Gefühle und Ge-
danken sich unterbewußt ver-
dichtet haben. Wohl schöpft der
Künstler aus dem Quell des ei-
genen Gefühlslebens, aber die-
ses bedarf der Zuflüsse, wenn
es nicht versiegen soll. Zum
mindesten wird es ohne die mit-
telbare Bereicherung und Ver-
edelung durch jene harmonische
Einheit schaffende Gestaltung,
die wir unter dem Begriff
Bildung zusammenfassen, des
Wachstums entbehren. Daß
wir dabei an keine wahllos ta-
stende Belehrung, sondern an
Belebung denken, bei der das
eigene schöpferische Selbst mit
weiser Beschränkung unbewußt
Ziel und Grenze bestimmt, be-
darf kaum einer besonderen
Versicherung. Goethe hat uns
gelehrt,daßderMensch „in der
Fülle der äußeren Welt al-
lein Nahrung für sein Wachstum
finde". Der Verzicht auf Bil-
dung würde Verzicht auf kul-
turelles Wachstum bedeuten.
„So ist's mit aller Bildung auch
beschaffen:
Vergebens werden ungebundene
Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe
streben.
Wer Großes will, muß sich zu-
sammenraffen.
In der Beschränkung zeigt sich
erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns
Freiheit geben."
XXIII. September 1920. 6
BRUNO PAUL. •»KACHELOFEN IM HERRENZIMMER«
Bildung für die Kunst verzich-
ten. Zu wahrer Größe vermag
sich ein Kunstwerk immer nur
dann zu erheben, wenn sein
Schöpfer eine Persönlichkeit
ist. Zur Persönlichkeit aber
bildet sich ein Künstler immer
nur dann aus, wenn ein zentrales
Selbst sich reiche Erfahrungen
und tiefe Erlebnisse einverleibt.
— Die Gefahr liegt für eine
Kunst, die auf „Bildung" ver-
zichtet, in chaotischen Auswir-
kungen. Nicht an sich ist der
Expressionismus, der das Innen-
leben betont, unkulturell, aber
er wird es, wo dieses Innen-
leben verarmt und ohne Diszi-
plin des Gestaltungsdranges sich
in nervöser Hast subjektiv ver-
ausgabt, ehe Gefühle und Ge-
danken sich unterbewußt ver-
dichtet haben. Wohl schöpft der
Künstler aus dem Quell des ei-
genen Gefühlslebens, aber die-
ses bedarf der Zuflüsse, wenn
es nicht versiegen soll. Zum
mindesten wird es ohne die mit-
telbare Bereicherung und Ver-
edelung durch jene harmonische
Einheit schaffende Gestaltung,
die wir unter dem Begriff
Bildung zusammenfassen, des
Wachstums entbehren. Daß
wir dabei an keine wahllos ta-
stende Belehrung, sondern an
Belebung denken, bei der das
eigene schöpferische Selbst mit
weiser Beschränkung unbewußt
Ziel und Grenze bestimmt, be-
darf kaum einer besonderen
Versicherung. Goethe hat uns
gelehrt,daßderMensch „in der
Fülle der äußeren Welt al-
lein Nahrung für sein Wachstum
finde". Der Verzicht auf Bil-
dung würde Verzicht auf kul-
turelles Wachstum bedeuten.
„So ist's mit aller Bildung auch
beschaffen:
Vergebens werden ungebundene
Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe
streben.
Wer Großes will, muß sich zu-
sammenraffen.
In der Beschränkung zeigt sich
erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns
Freiheit geben."
XXIII. September 1920. 6