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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Kuno, Ernst: Sinn und Unsinn der neuen Sachlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0028

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SINN UND UNSINN DER NEUEN SACHLICHKEIT

Das Wort von der Neuen Sachlichkeit wurde
erfunden, als es mit dem Expressionismus
zu Ende war, und weil der Deutsche gern ein
Etikett braucht, wenn er über Kunst reden will.
Und da kein anderes Schlagwort da war, hat
sich das Wort überraschend eingebürgert, was
um so verwunderlicher ist, daß es ja reichlich
schulmeisterlich klingt. Als ein Stichwort zur
Abkehr von überflüssigem Kitsch und aufge-
pappter Ornamentik hat das Wort sicherlich
manches Gute gewirkt.

Aber haben wir es nicht auch beim Expres-
sionismus erlebt, daß sich Gutes alsbald in
Äußerlichkeit verkehrte? Der Anfangsaffekt,
mit dem der Expressionismus seine Fahrt in
das Land einer „geistigen" Kunst begann, war
schon stolz und hochgemut. Doch wie schnell
wurde daraus eine Angelegenheit zur Deko-
ration von Mokkadielen, wie schnell machte
man daraus jene spitzwinklige Ornamentik, jene
eckigen „stilisierten" Blumen, die wir schon
lang nicht mehr sehen können. Ist man nicht
mit der „Neuen Sachlichkeit" auf ähnlichem

Wege ? Weißgetünchte, lieblose Räume, hori-
zontale Fenster, wenn irgend möglich asym-
metrisch gesetzt, hart hereinbrechendes Licht,
nur ja kein Bild an der Wand. Laboratoriums-
stimmung : und das will man uns als sachliche
Architektur einreden. So wird aus dem Wort
ein Freibrief gemacht, die Armut an Einfällen
zu kaschieren und die Unsicherheit zu eigenem
Ausdruck als ein Plus uns anzupreisen.

So war die Sache nicht gemeint. Sachlich-
keit als Verpflichtung, alles Überflüssige weg-
zulassen, ist gut. Aber dann beginnt erst die
Arbeit. Je kahler ein Raum, um so stärker
sprechen seine Proportionen. Ist eine Fassade
nur mehr eine glatte Fläche mit eingesägten
Fenster-Öffnungen, ohne daß irgend welche
Profilierungen mildernde Schatten dazwischen
streuen, so wächst unsere Empfindlichkeit für
Dimension und Rhythmus der Fenstervertei-
lung ins Ungeheure. Wie sieht es nun damit
aus? Ach wir wollen keine Namen nennen.
Die befriedigenden Lösungen sind noch sehr
gezählt. Die Rede von der Neuen Sachlichkeit

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