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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Esswein, Hermann: Arbeiten von Professor Josef Hillerbrand
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0073

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PROF. JOS. HILLERBRAND

»MARMOR-INTARSIA«

ARBEITEN VON PROFESSOR JOSEF HILLERBRAND

Den dekorativen Künsten stehen in unseren
Tagen nicht nur zeitbedingte und daher
notwendige Hemmungen, sondern auch Vor-
urteile im Weg, welche die schwierige Lage
durch unnütze Übertreibung verschärfen. Man
glaubt einen Zukunftszustand vorauszusehen,
der ausschließlich durch Massenbedürfnisse und
Massengeist bestimmt, von der Kunst nur
noch die geschmackliche Kontrolle, das ästhe-
tische Ausrichten und Auswägen des technisch,
zwecksinnig-praktisch und ökonomisch Vorteil-
haftesten erwarten und verlangen werde.

Man ahnt damit ganz richtig, aber man irrt
und fehlt, indem man die Ahnung zur ungesund
absoluten Forderung übertreibt. Das öffent-
liche Leben ist heute in der Tat dabei, seine
Formen über den privaten Menschen und damit
über die Kunst im alten traditionalistischen und
individualistischen Sinne hinweg zu entwickeln,
denn das öffentliche Leben ist nun einmal nicht
privat, soll und darf den Irrtum des ausgehen-
den 19. Jahrhunderts nicht fortsetzen wollen,
privat zu erscheinen. Bahnhöfe sind keine
Fürstenpaläste, und auch Banken, Waren- und

Bürohäuser dienen keiner persönlichen oder
ständischen Repräsentation mehr, sondern be-
stimmten praktischen Zwecken der Allgemein-
heit, die zwar gewiß geschmackvoll bedient sein
will, sich aber längst nicht mehr auf ein indi-
viduelles Kunstgesicht festlegen läßt. Die Kunst
im öffentlichen Verkehr, im Arbeits- und All-
tagsleben der Massen von heute ist überholt
und ausgeschaltet, ist unmöglich gemacht durch
die völlig neuartige Kollektivität unseres Lebens,
die keine natürlich erwachsenen Sinnbildlich-
keiten mitbringt, die heute ihre Symbole nur
erfinden, ergrübein könnte wider die Natur
jedes echten kunstschöpferischen Prozesses.

Dagegen bleibt den schmückenden Künsten ihr
Recht und ihre Eigenentwicklung voll gewahrt,
wo immer sie dem privaten und auch dem ge-
sellschaftlich gruppierten, durch die Gemein-
samkeit bestimmter kultureller Gewohnheiten
gebundenen Menschen dienen, der trotz der
neuen großen Arbeits- und Schicksalskollektive
der Zeit noch immer keine Sage ist, der heute
freilich gern der Modeperversion verfällt, die
persönlichen Geschmacksbedürfnisse gering zu

XXXLU. Oktober 1929. 7 '
 
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