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12. Munch

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zur Schönheit der Blume erfüllt sind. Der Ton seiner Lyrik ist inner-
licher als bei Erichsen; seine Farbe hat einen feinen irisierenden
Glanz, der gleitend die Fläche durchspielt. Aber er hatte nicht
Erichsens leichte und überlegene Hand; mit einer fast peinlichen
Sorgfalt arbeitete er die Bildfläche durch, und zuweilen ist es, als
ob es ihm schwer würde, das letzte entscheidende Wort und die
letzten bestimmenden Akzente zu finden.
12. Munch
Aber weitaus die überragende Gestalt dieser jüngeren Generation
war Edvard Munch (geb. 1863).
Mit Munch tritt ein Neues in die norwegische Kunst: die pro-
blematische Persönlichkeit. Die stärkste geistige Kraft, aus der
sich die norwegische Malerei seit Dahl entfaltet hatte, war die tiefe
reine Liebe zur Heimatnatur: in dem Bestreben, ihr Bild zu fassen
und zu deuten, hatte sich in der Hauptsache der künstlerische Drang
erschöpft. Munch aber — und dies bildet einen der Angelpunkte
seiner künstlerischen Persönlichkeit — steht in einem polaren Ver-
hältnisse zur Natur. Wohl vermag er sich tief in sie zu versenken,
ja er hat vieles in ihr stärker gesehen als seine Vorgänger, aber zu-
gleich fühlt er sich von ihr geängstigt. Er wird mächtig von ihr
angezogen, und doch ist sie ihm zugleich ein Fremdes, Unheimliches.
In seiner geistigen Welt ist die Natur nicht die Alleinherrscherin,
sondern in ihrem innersten Zentrum steht der Mensch. Die Natur
ist ihm nicht eine objektive Erscheinung, der er sich frei hingibt,
sondern er sieht sie in bezug auf den Menschen — das will sagen:
in bezug auf sich. Er ist eine durchaus subjektive Künstlernatur;
seine Schöpfungen sind Bekenntnisse, aufs innigste mit seinen per-
sönlichen seelischen Erlebnissen verknüpft. Eigenes Leiderleben
öffnete ihm die Augen für die Rätsel und Schrecken des Menschen-
daseins, die er nun ruhelos grübelnd umkreist. Er ist der erste nor-
wegische Künstler, der sich in die dunklen Tiefen der menschlichen
Seele, der sich an Schicksalsfragen des Menschentums wagt; sein
Schaffen ist eine Auseinandersetzung mit den ihn hart bedrängenden
Problemen, und darauf beruht die Art seiner Wirkung. Es wird
 
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