A | Renovatio in Italien - der „Italienische" Modus
Abb. 21: Rom, S. Maria del Popolo: Langhaus von Osten
Abb. 22: Rom, S. Maria del Popolo: Orgelempore im
Querhaus (Bernini, 1656)
2 c) Borromini und der Umbau des
Laterans
„Keinem seiner Vorgänger wäre es in einem
solchen Falle auch nur im Traum eingefal-
len, sich um den alten Bestand irgendwie zu
kümmern, es sei, daß man aus finanziellen
oder technischen Gründen an ihn gebunden
wäre. [...] Die Änderung der Gesamtform
war für die früheren Generationen die
selbstverständliche Konsequenz des Bestre-
bens, einen Bau den modernen künstleri-
schen Formen anzupassen. Man hat das al-
te beibehalten, wo man dem neuen nicht die
Türen öffnen wollte, wo man es aber tat,
hörte das alte auf eine künstlerische Rolle
zu spielen. Borromini hat es jedoch in den
Rahmen seiner künstlerischen Neuschöp-
fung einbezogen. [...] Wir müssen uns vor
allem fragen, ob Borromini das Alte als ein
Dokument bestimmter künstlerischer Re-
geln und formaler Prinzipien so gefallen
hat, daß er es erhalten wollte. Es ist dies
kaum wahrscheinlich, da er wohl sonst
nicht der Versuchung widerstanden hätte,
die alten Formen irgendwie nachzuahmen.
Auch historische Motive können kaum in
Betracht gezogen werden. [...] In S. Gio-
vanni änderte er nichts an der Kirchenan-
lage, weil es für ihn einen größeren Reiz
hatte, sie zu benutzen.“'28
(Max Dvorak, Borromini als Restaurator,
1907)
Borrominis Renovatio des Langhauses der
Lateransbasilika zum Heiligen Jahr 1650129
hat das von Vasari formulierte Ziel in so
vollkommener Weise verwirklicht, daß sie
zum Vorbild für zahlreiche Um- und Neu-
bauten im Norden wurde130 <23-35>. Ein
direktes Nachfolgewerk in Süddeutschland
ist Johann Dientzenhofers Fuldaer Abtei-
kirche131. Für die Bauaufgabe Renovatio lie-
ferte Borrominis Umgestaltung vor allem
zwei entscheidende Anregungen: zum ei-
nen die rhythmische Belebung und funda-
mentale Umformung eines zuvor monoto-
nen, mittelalterlichen Langhauses; zum
anderen die Neupräsentation überkomme-
ner Ausstattungsstücke unter weitgehender
Bewahrung ihres autonomen Charakters.
Wenn Berninis Raumgestaltungen bei der
128 Dvorak 1907 / 1929, S. S. 273, 275, 277.
Diese auf einen vermeintlich freien Willen
des Künstlers gestützte Interpretation ist
heute so nicht mehr aufrecht zu erhalten,
dennoch benennt Dvorak die Dialektik
dieser fundamental neuen Option zwi-
schen Bewahren und Erneuern in zutref-
fender Weise.
129 Blunt 1979b, S. 134-154. Der Auftrag er-
folgte 1646, 1649 war der Umbau voll-
endet. Kieven 1993, S. 60 mit kurzer Zu-
sammenfassung und Lit.; zuletzt Portog-
hesi 1984, Connors 1992, Echols 1992,
Roca de Amicis 1995, Roca de Amicis in
Kat. Borromini 2000.
130 Der Lateranumbau war im Norden ab
1702 auch in der Publikation von de Ros-
si und Specchi: „Studio di architettura ci-
vile", zu studieren. Einen Wandaufriß bot
bereits de Rossi in „Insignium Romae
Templorum", 1683.
131 Hager 1987.
75
Abb. 21: Rom, S. Maria del Popolo: Langhaus von Osten
Abb. 22: Rom, S. Maria del Popolo: Orgelempore im
Querhaus (Bernini, 1656)
2 c) Borromini und der Umbau des
Laterans
„Keinem seiner Vorgänger wäre es in einem
solchen Falle auch nur im Traum eingefal-
len, sich um den alten Bestand irgendwie zu
kümmern, es sei, daß man aus finanziellen
oder technischen Gründen an ihn gebunden
wäre. [...] Die Änderung der Gesamtform
war für die früheren Generationen die
selbstverständliche Konsequenz des Bestre-
bens, einen Bau den modernen künstleri-
schen Formen anzupassen. Man hat das al-
te beibehalten, wo man dem neuen nicht die
Türen öffnen wollte, wo man es aber tat,
hörte das alte auf eine künstlerische Rolle
zu spielen. Borromini hat es jedoch in den
Rahmen seiner künstlerischen Neuschöp-
fung einbezogen. [...] Wir müssen uns vor
allem fragen, ob Borromini das Alte als ein
Dokument bestimmter künstlerischer Re-
geln und formaler Prinzipien so gefallen
hat, daß er es erhalten wollte. Es ist dies
kaum wahrscheinlich, da er wohl sonst
nicht der Versuchung widerstanden hätte,
die alten Formen irgendwie nachzuahmen.
Auch historische Motive können kaum in
Betracht gezogen werden. [...] In S. Gio-
vanni änderte er nichts an der Kirchenan-
lage, weil es für ihn einen größeren Reiz
hatte, sie zu benutzen.“'28
(Max Dvorak, Borromini als Restaurator,
1907)
Borrominis Renovatio des Langhauses der
Lateransbasilika zum Heiligen Jahr 1650129
hat das von Vasari formulierte Ziel in so
vollkommener Weise verwirklicht, daß sie
zum Vorbild für zahlreiche Um- und Neu-
bauten im Norden wurde130 <23-35>. Ein
direktes Nachfolgewerk in Süddeutschland
ist Johann Dientzenhofers Fuldaer Abtei-
kirche131. Für die Bauaufgabe Renovatio lie-
ferte Borrominis Umgestaltung vor allem
zwei entscheidende Anregungen: zum ei-
nen die rhythmische Belebung und funda-
mentale Umformung eines zuvor monoto-
nen, mittelalterlichen Langhauses; zum
anderen die Neupräsentation überkomme-
ner Ausstattungsstücke unter weitgehender
Bewahrung ihres autonomen Charakters.
Wenn Berninis Raumgestaltungen bei der
128 Dvorak 1907 / 1929, S. S. 273, 275, 277.
Diese auf einen vermeintlich freien Willen
des Künstlers gestützte Interpretation ist
heute so nicht mehr aufrecht zu erhalten,
dennoch benennt Dvorak die Dialektik
dieser fundamental neuen Option zwi-
schen Bewahren und Erneuern in zutref-
fender Weise.
129 Blunt 1979b, S. 134-154. Der Auftrag er-
folgte 1646, 1649 war der Umbau voll-
endet. Kieven 1993, S. 60 mit kurzer Zu-
sammenfassung und Lit.; zuletzt Portog-
hesi 1984, Connors 1992, Echols 1992,
Roca de Amicis 1995, Roca de Amicis in
Kat. Borromini 2000.
130 Der Lateranumbau war im Norden ab
1702 auch in der Publikation von de Ros-
si und Specchi: „Studio di architettura ci-
vile", zu studieren. Einen Wandaufriß bot
bereits de Rossi in „Insignium Romae
Templorum", 1683.
131 Hager 1987.
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