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Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0415
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C | Zum „Nachleben" der Renovatio

Das entscheidende Movens für diesen
Kraftakt war wohl jene eher lokalpatrioti-
sche als religiöse Empfindung, die der
Münchner Kardinal Faulhaber in die Wor-
te faßte: „Ich kann mir München ohne den
„Alten Peter“ einfach nicht vorstellen!“.
Bundeskanzler Adenauer würdigte diese im
Wortsinne restaurative Maßnahme als
Wahrzeichen einer sich aus eigener Kraft
wieder erhebenden Stadt.
Wie immer sind solche Bauvorhaben nicht
ohne bestimmenden Einfluß der Bauherren
und der ausführenden Künstler zu denken.
Die beiden Stadtpfarrer Max Stritter
(1937-1949) und Max Zistl (1950-1983)
setzten sich mit Hilfe von Rudolf Esterer341
und Erwin Schleich als leitenden Architek-
ten beharrlich für die Renovatio der Reno-
vatio ein: „Sie haben den Alten Peter’ wie-
der so erstehen lassen, wie er einmal war,
schier unüberwindlichen Schwierigkeiten
zum Trotz und gegen die Meinung, daß Re-
konstruktionen unmöglich seien, weil sie
nicht gelingen könnten, und nicht gelingen
könnten, weil sie unmöglich seien.“342
Daß eine solche Entscheidung getroffen
wurde und realisierbar war, hatte neben den
genannten emotionalen Motiven zwei prak-
tische Voraussetzungen: Zum einen waren
im Kriege einige Hauptstücke der Ausstat-
tung ausgelagert worden, die somit für
den Wiederaufbau zu Kristallisations-
punkten der Rekonstruktion werden konn-
ten. Aus dem monumentalen Hochaltar343,
der beim Einsturz des Chores völlig zer-
trümmert wurde, war vor den Luftangrif-
fen sein ästhetisches und ikonologisches
Zentrum, die gotische Petrus-Skulptur Er-
asmus Grassers und die vier Kirchenväter
Egid Quirin Asams, entfernt worden. War
diese Maßnahme zunächst als Zeichen
mangelnden Gottvertrauens kritisiert
worden, so bot sie doch später einen An-
gelpunkt für die Rekonstruktion als imi-
tatorische Wiederholung jener Umgestal-
tung von 1730, die schon einmal eine
hochbarocke „Fassung“ um eine einzige,
aus dem spätgotischen Altar übernom-
mene Skulptur herum erschaffen hatte.
Bei der Wiederherstellung wurden alle nur


Abb. 277: München, Pfarrkirche St. Peter: Fresko des Mittelschiffs (rekonstruiert, Zustand 2001)

irgend verwendbaren Fragmente des Al-
taraufbaus einbezogen.
Von der einstmals reichen Freskenausstat-
tung überstanden nur sechs Bilder der west-
lichen Hochschiffswände den Einsturz - sie
wurden restauriert, die verlorenen aber bis
1988 durch Karl Manninger rekonstruiert
oder genauer gesagt nachgeschaffen344.
Diese Maßnahmen gehören künstlerisch si-
cher zu den problematischsten, wie schon
das 1974 wiederhergestellte Chorfresko
zeigt und das neue Mittelschiffsfresko be-

342 Altmann / Kindelbacher 1995, S. 50.
343 Altmann / Kindelbacher 1995, Abb. S. 4,
29, 53f. Es ist bezeichnend, daß Altmann
die Rekonstruktion zwar stolz hervorhebt,
aber bei der Beschreibung von der „[...]
1730-1734 aus Holz gefertigten Säulen-
architektur" (Schnell Nr. 604, S. 7) des
Hochaltars spricht, obwohl diese nach-
weislich verbrannt ist. Eine einzige Mar-
morsäule des Hochaltars konnte 1954
noch unzerbrochen im geräumten Schutt
aufgefunden und ausgemessen werden
und diente als Grundlage der maßge-
treuen Wiederherstellung nach Fotos,
allerdings in Beton mit Stuckmarmorie-
rung. Eine solche Realitätsverschiebung
gerade bei Autoren, die aufs engste mit
Zerstörung und Wiederherstellung ver-

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