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Der verdorbene General.

jetzt werde er wieder was erzähle», denn im Rathskeller hielt
seit Jahren Meister Hobelmann den Vortrag und erzählte Ge-
schichten, wie wenn sie gedruckt wären.

„Was mag denn dem Schreiner so gar Schlimmes passirt
sein?" fragte Zwirn — um den angedeuteten Gcschichtsfaden
sogleich herauszuziehen.

„Welche Frage!" entgegnete der Schreiner; glaubt Ihr
denn, daß wir gemeinen cinsachcn Bürgersleute nicht auch unser
sogenanntes Verhängniß haben können? Kein Mensch kennt
seine Bestimmung!"

Für Manchen ist es ein Unglück, daß er das Glück ge-
habt hat, eine Erccllenz oder so etwas Großes zu werden, warum?
weil er im simplen Bürgersstandc ruhig, angemessen und froh
leben könnte, weil die feine Luft in den höheren Regionen ihm
nicht zusagt; dagegen für einen Andern ist's wieder ein Unglück,
daß er ein Schreiner hat werden müssen! warum? —"

„Hobelmann gerathe nicht auf Abwege und fange ja nicht
zu philosophiren an, dazu hast Du kein Recht," sagte der Küster.
„Du hast Dein Auskommen, hast Haus und Hof und einen
Weinberg — gut vcrhcirathct bist Du auch; und genau betrachtet,
was hätte denn aus Dir viel werden können?"

„Werden können? was? — General!"

Jetzt brach im ganzen Stübchen ein riesenhaftes Gelächter
los; der Schreiner aber klappte zornig sein Seidel zu, schaute
verächtlich umher, rückte seine lederne kuppclförmige Mütze auf's
andere Ohr — und murmelte: „Maulaffen!"

Als endlich der Lachsturm sich etwas gelegt hatte, fragte
Zwirn, dem noch die Thränen in den Augen standen: „Und

wcßhalb ist denn der Hobelmann kein General geworden?"

„Warum? wegen eines lumpige» Kronenwirths — drau-
ßen in Gällingen, im Königreich Sachsen, nahe bei Moritzburg,
an der Straße nach Dresden —!"

Neues Gelächter, neue Verwunderung und größerer Jubel,
bis der Rathswirth selbst, „Ruhe" donnerte, und dem miß-
lungenen General ein frisches Seidel vom besten Erfurter hin-
stcllte, daß der Schaum auf den Tisch herab rann.

„Draußen in Sachsen war ich in einem Städtchen, Großen-
hain hieß es, wo es mir trefflich ging, und wo ich auf der
Post das Schrcincrhandwerk erlernt hatte. —"

„Auf der Post? hört!" rief der Briefträger dazwischen,
„darum gehen seine Tische auch so schnell aus dem Leim."

„Halt' den Mund, dummer Gelbkragcn mit der omi-
nösen Tasche —"

„Gevatter Wiegand, ich will zahlen, Hab' einen Rettig
und zwei Seidel, heut' wird's keine Ruh' in dieser — in einer
solche» Gesellschaft, wo Jeder mit dummer Rede und dummem
Gelächter einem das Leben verbittert — also ich habe 2 Sei-
del und —"

„Na, na," mengten sich jetzt Wirth und Gäste dazwischen,
„das wär' was Schönes! Der Herr Hobelmann muß nicht so
kurz sein und fein bleiben, einen Spaß verstehen; jetzt wird
gewiß Keiner mehr mucksen."

„Also ja — auf der Post," fuhr der Gekränkte etwas
milder gestimmt fort; „warum auf der Post? weil der Sohn

das Postamt gepachtet hatte, und die Frau Mutter nach ihres
seligen Mannes Tode, der mich ausgelernt hatte, die Schreinerei
fortsetzte. Das ging dazumal, jetzt freilich ist's anders; damals
schrieben wir 1813 und jetzt 1843. Obwohl ich zu jener
Zeit ein Schrcinergcsclle war, ein Kerlchen von 18 Jahre»,
so steckte ich doch immer meine Nase in das Postwcse» hinein,
besonders i» den Stall, zwischen die Pferde, wo ich wie zu
Hause war. Höhere Dinge hatte ich stets iin Kopfe gehabt,
und wenn ich in meiner Werkstatt Feierabend machte, dann
ging's in die Posthalterci und im Sommer mit den Pferden
in die Schwemme, da lernte ich reite», und wie!

Mitunter, besonders bei dem großen Kricgsrumor mußte
ich auch in der Expedition thätig sein, copiren, verlesen, sortiren,
Packcte und Briefe, ich kannte jedes Dorf und jedes Fach, wohin
die Briefe gehörten; auch wurde ich oft als Estasettcnrciter be-
nützt, und jeder Rückschein bewies, daß der Hobclmann keine
Minute versäumt hatte.

Endlich kam auch der Napoleon mit seinem Kriegsrummel
in unsere Gegend, die Franzosen waren da, ohne daß man
stc wünschte.

Welch' ein Geschrei und welche Wirthschaft in unserem
Städtchen! Ucberall hieß cs: „Jetzt kommt Bonapartc!"

„Gott geb' ihm die ewige Ruh' — der hat mir bittere Schmerzen
verursacht! Hört nur.

Kommt eines frühen Morgens, ich stand eben und machte
den Sarg des Bürgermeisters, der vor großem Schrecken über
die anlangcndcn Franzosen den Tod davon hatte, ein Kriegs-
commissar, wie ein Rasender auf einem SchwcißfuchS vor das
Posthaus geritten.

„„In zwölf Stunden folgt mir derKaiscr auf dem Fuße
— von Torgau,"" brüllte er in das Postbureau; „„Alles
bereit gehalten, drei Wagen, zwölf Pferde, aufgeschirrt vor
dem Hause. Scharfer Trab, die Tour per Moritzburg nach
Dresden. Besondere Ordre folgt nach!""

„Weg war er — und wir stehen mit offenem Munde
da — ganz allein und verlassen, und einen stockfremden grim-
migen Kaiser in Aussicht!

Die Frau Postmeisterin Mutter aber hat ihre zwar alten
aber scharfen Sinne in die Händ' genommen, und mit Schreien,
Fluchen und Drohen die vier fehlenden Pferde aus dem nächsten
Dorfe richtig zusammen geblasen.

Der Sohn, der Herr Postincister," fuhr der Schreiner
fort, „war zwar ein guter Herr, paßte aber nicht für seine
Stellung, er war zu schüchtern und zag — ganz das Gcgen-
theil von den gewöhnlichen Postwcsenspersonalien. Als dieser
hörte, daß Bonapartc ginge durch, stand er da, wie verloren,
und je näher der Zeitpunkt kam, desto ängstlicher wurde er,
und versteckte sich endlich in die Futterkammer. Da hat aber
die Frau Mutter schön aufgeblasen. Er mußte heraus, und
wenn ihn zehn Teufel gehalten hätten!

Dann hat die Frau Meisterin sich frisch daran gemacht,
die Postillone und Hilfsanspanncr sauber heraus zu staffiren,
und der Herr Postmeister sollte dem Kaiser vorrciten, und das
von Rechtswegen, cs gehörte zu den Obliegenheiten eines Post-
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