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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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ZU BAU UND ENTWURF


36 Nordgiebel des Querriegels.


37 Südgiebel des Querriegels.

die Steigmomente der Fenster- und Strebepfeiler-
Bildung in den Giebeln noch einmal zum Tragen
kommen.
Die Stufenwinkel zwischen den Basislinien und
Vertikalkanten der einzelnen Giebelgeschosse sind
durch ein vielgliedrig gewickeltes, geschlungenes
und mannigfach geknotetes Volutenwerk gefüllt.
So wird der Stufenbau der Giebelfronten in die
schließlich resultierende, aber nirgendwo durch
eine Ortgangschräge tatsächlich markierte Kontur
jener Giebeldreiecke verwandelt, die die Zwerch-
dachkörper zu schließen haben. Hier vor allem las-
sen sich Differenzen der Zeichnung und Ausfüh-
rung beobachten, die nur durch die schleppende
Realisierung dieser Sonder- und Einzelstücke einer
elementierend konzipierten Architektur zu erklä-
ren sind. Die Details der Ordnungen, der Fenster-
und Nischengliederung und — dies vor allem — der
von den einfachen Wicklungen und Knotungen des
36 Beschlagwerks am (frühen) Nordquerhaus-Giebel
bis zu den Schlingungen und Turbulenzen des jün-
geren Knorpelwerks reichenden Voluten- und Füll-
formen zeigen die Entwicklungen eines mehr de-
korierenden denn strukturierenden Geschmacks
im frühen 17. Jahrhundert.
Mit einer Verdachung des zentralen Säulen-Ge-
bälk-Rahmens, die direkt aus dem Gebälkaufbau
selbst entwickelt ist, und mit kleinen Rundnischen,
deren Öffnungen hinter den Postamentsäulen des
Giebelobergeschosses verstellt bleiben, verweist
die Architektur des breiter fußenden, dreigeschos-
sigen Nordquerhaus-Giebels auf die Charakteri-
stika des Langseitenportals in derselben Front. Da
Muschelformen und andere Details dieser beiden
„Musterstücke“ in der Gruppe „hinzukommen-
der“ Architekturelemente ebenfalls gut vergleich-
bar sind, scheint die von Woltereck im Corpus Bo-
norum vorgestellte Chronologie des „Giebelbaus“
zuzutreffen: Nachdem 1613 (aller Wahrscheinlich-
keit nach) mit dem „Chor“ auch der Giebel des
Nordquerhauses (als der erste) fertig war — und

nach Anordnung und Detaillierung bald auch das
Nordseitenportal, bezahlt am 28. 5. 1616 — folgten 32
die nach Westen anschließenden Zwerchhausgiebel
bis 1623 und nach der Jahrhundertmitte schließ-
lich, nach längerer Unterbrechung, ihre Gegen-
stücke auf der Südflanke. Hier war nur der mittlere
Portalgiebel bereits 1623 gestiftet worden.
Die „Halbgiebel“ zu Seiten des Turmes entstan- 19
den vermutlich gleichzeitig mit jenen Teilen des
freiwerdenden Turmschaftes, die nach der In-
schrift unter dem Glockengeschoßfenster 1616 fer-
tiggestellt waren. Hier wird der Stufenbau des Gie-
bels durch zwei, flach von je einem Pilaster mit Re-
liefquadern gefaßte und vom Turm überschichtete
Wandfelder aufgebaut, nicht von einer Säulen-Ge-
bälk-Ordnung wie auf den Langseiten. So wirken
die „Halbgiebel“ als Teilstücke eines großen Fassa-
dengiebels, den die Vorstellung hinter der Turm-
front „ergänzt“.18) Auf und neben den Wandfel-
dern mit ihren Fenstern „füllen“ voluten- und be-
schlagwerkbesetzte Quaderscheiben die Stufen-
winkel und erzeugen aus schwingend-sprießenden
Formen die intendierte Giebelkontur. Auffallend
ist die straffe Binnenorganisation des Beschlag-
werks, die ausgehend von einem Kreisknoten —
etwa in der Achse der Seitenschiffsfenster — in ver-
tikaler wie horizontaler Richtung ein Kreuz von
Verkettungen aufbaut, das die Nieten, Schnallen
und Volutenaugen der Fülltafeln ebenso wie die
Obeliskformen und Schnabelenden der offenen
Kontur als Elemente eines aus eigener Mitte ent-
wickelten Dekorationssystems erweist. Auf der
Südseite des Turmes sieht man, daß das aufrechte
Wandfeld des „Halbgiebels“ zu einem Wendel-
treppenhaus gehört, das mit dem Giebel über die
alles gürtende Kranzgesimshorizontale des Hallen-
körpers hinausgeführt ist. Ein kleiner Treppenauf-
gang, eine Rundbogen-Pforte und eine Serie von
architravierten Fenstern deuten auf die Lage dieser
Wendeltreppe. Der Holwein-Stich der Turmfront
zeigt, daß man hier nur Reste einer sehr viel schlüs-

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