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Fürbringer, Max
Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel: zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane ; mit 30 Tafeln (Band 2): Allgemeiner Theil, Resultate und Reflexionen auf morphologischem Gebiete, systematische Ergebnisse und Folgerungen — Amsterdam, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.15181#0023

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Cap. 3. Grösse und Configuration der Knochen.

Bereits im vorhergehenden Abschnitte wurden einige der hierher gehörigen Bildungen berührt.
Die feineren histologischen und die grösseren morphologischen Differenzirungen lassen sich eben
nicht trennen. Aus Summirungen der Einen setzen sich die Anderen zusammen. Das Gleiche
gilt für ihre Correlationen und functionellen Anpassungen.

Dass die Ausbildung der Grösse und die speciellere Configuration der meisten Knochen, soweit
sie zu der Muskulatur in directer Beziehung stehen, in der Hauptsache von der Muskelwirkung
abhängt, ist seit den ältesten Zeiten erkannt worden. Für die Extremitäten der Vögel hat z. B.
Tiedemann ganz speciell darauf hingewiesen. Eick's bekannten methodischen Versuchen verdanken
wir die experimentelle Beweisführung und zahlreiche neuere Autoren haben nach diesen Gesichts-
punkten weiter gearbeitet; ich erinnere u. A. nur an die neueren Untersuchungen von Lesshaft
und Dalla Rosa. Muskelwirkung, Muskelzug vergrössern den Knochen, vornehmlich die am
directesten betroffenen Stellen desselben, verminderte Thätigkeit der Muskulatur, stärkerer äusserer
Druck bedingen eine Verringerung des Knochenwachsthums oder eine wirkliche Rückbildung.

Man kann daher aus der blossen Betrachtung des Knochens mit einiger Wahrscheinlichkeit
auf die Anordnung der Muskulatur schliessen. Auf diese Weise entwirft der Palaeontolog seine
Reconstructionsbilder der Körper ausgestorbener Thiere. Doch wird er auf diesem Wege schwer-
lich immer eine getreue Wiedergabe der Natur erreichen. Denn selbst bei den Körpertheilen,
welche beim ersten Anblicke lediglich oder doch ganz überwiegend von dem Einflüsse der Mus-
kulatur beherrscht zu sein scheinen, spielen auch andere Verhältnisse in einflussreichster Weise mit.

Zur Illustration des Gesagten erscheint die Gasse der Vögel besonders instructiv. In dieser
verwandtschaftlich so eng zusammengehörenden Gruppe kommen Differenzen in den Grösse-
verhältnissen der Skelettheile zur Beobachtung, wie man sie a priori bei so nahen Verwandten
nicht erwarten würde. Wenn man beispielsweise die Tabelle XXVIII (Über die grösste Länge
des Sternum p. 794, 795) aufschlägt, so findet man hier Brustbeine der verschiedensten Grössen,
welche innerhalb der Grenzen einer nur 2^ fachen bis 18 fachen Dorsalwirbellänge liegen. Dabei
sind allerdings auch beträchtlich verkümmerte Gebilde mitgezählt; aber auch nach Ausschluss
derselben beginnt die Reihe mit nur 4-| Dorsalwirbellängen. Und hier zeigen sich selbst inner-
halb recht eng geschlossener Familien (z. B. der Colymbidae, Galli, Columbae) sehr weitgehende
Differenzen. Nicht geringer ist die Variabilität der Länge des Humerus (Tabelle XXXVII. Länge
des Humerus in Dorsalwirbeleinheiten, p. 814, 815). Bei den besten Fliegern finden sich zwischen
3^- bis 21^ Wirbellängen betragenden Oberarmknochen alle möglichen Ubergänge, — ganz
abgesehen von den Rückbildungen, die, wie es scheint, bei Dinornis bis zum völligen Schwunde
des Humerus geführt haben. Vergleicht man damit die Verhältnisse der bezüglichen Muskulatur,
zeigt sich am Brustbeine eine im Ungefähren der sternalen Grösse entsprechende Längsaus-
dennung der Muskulatur, aber man sieht zugleich, dass der M. pectoralis bei den Einen, und
zwar namentlich den kleineren Vögeln bis zum äussersten hinteren Rande des Sternum reicht,
bei den Anderen dagegen, die vornehmlich durch eine beträchtlichere Körpergrösse ausgezeichnet
sind, eine mehr oder minder breite hintere Fläche des Sternum (Planum postpectorale) freilässt
(s. auch p. 140 und 417). Weit grösser noch ist die Divergenz zwischen Knochenausdehnung
und Muskelentfaltung am Humerus. Die kürzeren Knochen sind geradezu durch die kräftigere,
die längeren durch die schwächere Muskulatur gekennzeichnet; bei den letzteren deutet das Miss-
verhältniss zwischen Länge der Sehne und des Muskelbauches genugsam an, dass die Muskulatur
dem Wachsthum des Knochens nicht mehr folgen konnte oder wollte. Das ist übrigens eine an
allen längeren Extremitäten zu beobachtende und genugsam bekannte Erscheinung. Es lässt sich
aber zugleich durch vergleichende Messung und Wägung ganz unzweifelhaft erkennen, dass in
ausserordentlich zahlreichen Fällen mit dem progressiven Wachsthum des Knochens eine wirkliche

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