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Fürbringer, Max
Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel: zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane ; mit 30 Tafeln (Band 2): Allgemeiner Theil, Resultate und Reflexionen auf morphologischem Gebiete, systematische Ergebnisse und Folgerungen — Amsterdam, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.15181#0310

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1136

Vögel treten in sichtbaren Mitbewerb um die Mitte der mesozoischen Zeit; aber die Organisa-
tion der zu dieser Zeit lebenden Formen (cf. p. 1107 f.), sowie die aus dem Anfang der Trias
(vielleicht auch schon in der Kohle) beobachteten Pussspuren (cf. p. 1108) lassen auf eine
stattliche Reihe von älteren Ahnen schliessen. Halten wir uns aber auch nur an die directe
Beobachtung, so sehen wir schon in relativ frühen Zeiten, d. h. in der Kreide, Formen auftreten,
die wie die Hesperornithidae eine zu recht anselmlicher Höhe gelangte, aber bereits dem Unter-
gange entgegeneilende Fntwickelung bekunden, und nicht minder stellt uns das Eocän Vögel
vor Augen, welche einigermassen an die relativ hohen Typen der Tubinares, Steganopodes, Odon-
toglossae, Accipitres, Alectoropodes etc. erinnern. Solche Befunde zeigen uns deutlich, dass wir
bei morphologischen und phylogenetischen Parallelisirungen Vorsicht beobachten müssen und nicht
ohne Weiteres annehmen dürfen, dass die Avifauna der Tertiärzeit und des Endes der Secundär-
zeit vorwiegend aus solchen Formen bestand, welche mit den Tieferstehen den der jetzt lebenden
Vögel vergleichbar sind. Damals schon existirte neben wirklich primitiven, aber (wohl auch
wegen ihrer geringeren Körpergrösse) mehr zurücktretenden und daher auch in der Hauptsache
bisher noch unbekannt gebliebenen Typen eine reiche und in ihrer Weise hochentwickelte Vogel-
welt, von der, wie es scheint, noch einige spärliche Anklänge in jenen vereinzelten Gattungen
grösserer Vögel erhalten sind, deren isolirte Stellung directere Anknüpfungen an lebende Ver-
wandte nicht gestattet. Das ausschliessliche Vorkommen primitiverer Formen, zu welchen
einerseits unter den fossilen Vögeln Archaeopteryx und Ichthyornis zu rechnen sind und denen
andererseits unter den lebenden gewisse generalisirte Typen der Limicolae relativ noch am
wenigsten fern stehen, ist in eine Zeit zu setzen, die noch vor der Kreideperiode abschliesst.

Diese Bemerkungen mögen genügen, um allgemeine Directiven für die systematische Forschung
zu bestimmen. Ich verbinde mit ihnen keine Illusionen, denn ich glaube, dass wir von jener
Zeit, wo man in Ornithologicis von einem Systeme aere perennius sprechen wird, noch sehr weit
entfernt sind. Specialisirte Methoden vermochte ich, wie bereits Eingangs dieses Capitels betont,
auch nicht anzugeben, sondern nur allgemeine Arbeitsmaximen.

Das Wichtigste ist und bleibt, nochmals sei es betont, gründliches und denkendes Arbeiten
an einem möglichst reichen Materiale. Im Übrigen werden über den Werth einer Methode die
mit ihr gewonnenen Ergebnisse, also im gegebenen Falle das erhaltene Vogelsystem, am besten
entscheiden. Taugt das System nichts, so war auch die Methode oder wenigstens ihre Anwen-
dung nicht viel werth.

B. Versuch einer Systematik der Vögel.

Cap. 4. Vorb emerkung-en.

In den vorhergehenden Capiteln glaube ich genugsam betont zu haben, dass meiner Ansicht
nach der Tag noch lange nicht gekommen ist, wo von einem vorwurfsfreien und dauernden
Vogelsysteme Sprache sein kann. Die Unvollkommenheit der anatomischen, ontogenetischen und
namentlich palaeontologischen Grundlagen macht zunächst sichere und zuverlässige taxonomische
Folgerungen in breiter und durchgehender Anwendung illusorisch und an die Stelle der Beweise
treten oft nur Wahrscheinlichkeitsschlüsse oder blosse Conjecturen. Mögen die Letzteren auch
in diesem oder jenem Systeme der Vergangenheit mit dem Pathos der subjectiven Überzeugung
als bleibende Wahrheiten und sichere Errungenschaften verkündet worden sein, die fortschreitende
 
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