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Fürbringer, Max
Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel: zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane ; mit 30 Tafeln (Band 2): Allgemeiner Theil, Resultate und Reflexionen auf morphologischem Gebiete, systematische Ergebnisse und Folgerungen — Amsterdam, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.15181#0070

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896

Cap. 9. Muskel und Nerv.

Die von mir angewendete Untersuchungsmethode basirte auf der Grundanschauung, dass querge-
streifte Muskelfaser und der sie versorgende Nerv ein einheitliches Gebilde darstellen, dass die erstere
gewissermassen als "das Endorgan des lezteren anzusehen sei. Den physiologischen Erfahrungen
zufolge, wonach die natürliche Erregung des Muskels stets durch die Erregung seines Nerven
vermittelt wird und demzufolge mit der Lähmung oder Zerstörung des Nerven resp. der Nerven-
endigung am Muskel nicht allein die natürliche Actionsfähigkeit des Muskels, sondern schliesslich
selbst seine Lebensfähigkeit aufhört, gewährten hierbei eine weitere Grundlage. Wohl war gezeigt
worden, dass der Muskel auf künstliche Weise auch clirect erregt und durch künstliche Reizung
auch nach Zerstörung seines Nerven noch längere Zeit am Leben erhalten werden kann; aber
diese an sich höchst bedeutsamen Experimente repraesentirten abnormale Eingriffe in den Orga-
nismus und statuirten Ausnahmeverhältnisse, wie sie im natürlichen Leben nicht vorkommen.
Hier bedingen sich Nerv und Muskel gegenseitig.

Es war schwer zu denken, dass eine derart innige Einheit, deren bleibende Lösung trotz
übrigens zureichender Ernährungsbedingungen schliesslich doch den Tod der getrennten Glieder
herbeiführte, nur das Product einer zufälligen Begegnung und Vereinigung ursprünglich getrennter
Theile sei, und er war ferner nicht möglich, sich vorzustellen, wie das Leben von Nerv und
Muskel vor der Vereinigung beschaffen sei, und auch nicht recht zu begreifen, warum — ange-
nommen, dass ein solcher secundärer Vereinigungsprocess bestände — derselbe immer mit der
gleichen Regelmässigkeit verlief.

Zur Sicherung der morphologischen Grundlage konnten mehrfache Wege betreten werden. Man
konnte auf vergleichend-anatomischem Wege das Verhalten von Nerv zu Muskel von den primi-
tivsten Zuständen bei den niedrigsten Metazoen bis zu den höchsten Formen verfolgen (phylo-
genetische Methode Haeckel's), man konnte die ontogenetische Entwickelung des betreffenden
Apparates studiren und Bau und feinere Structur des vollendeten Gebildes dadurch aufzuhellen
suchen (tektogenetische Methode, siehe Haeckel), man konnte endlich in experimenteller Weise
operiren und durch Untersuchung der Degeneration und Regeneration nach Klarheit streben.
Zugleich musste man den Versuch machen, alle drei Untersuchungsmethoden auf ihre Bedeutung
abzuschätzen und in ihren Resultaten zu vergleichen. So konnte vielleicht eine gegenseitige
Ergänzung gewonnen werden, die vor mancher Einseitigkeit mit ihren verhängnissvollen Folgen
schützte.

Alle diese Methoden sind auch mit mehr oder minder grosser Intensität versucht worden. Zu
der gewünschten Übereinstimmung hat noch keine geführt.

A. Litterarische Übersicht.

Auch auf die Gefahr hin, zum Uberdrusse Bekanntes zu wiederholen, bin ich gezwungen, in
Kürze die hauptsächlichsten bisher angeführten Untersuchungen und gewonnenen Anschauungen
über die bezügliche Materie zu skizziren.

1. Vergleichend-morphologische Untersuchungen und Anschauungen.

a. Kleinenberg's Neuromuskeltheorie.

An Kleinenberg's Entdeckungen an Hydra knüpft sich bekanntlich die Neubelebung der vorliegenden
Frage auf vergleichend-morphologischem Gebiete. Er fand bei diesem niederen Metazoon ektodermale
 
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