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Die Gartenkunst — 8.1906

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Rothe, Richard: Die deutsche Gartenkunst aus weiter Perspektive
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0138

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VIII, 7

DIE GAKTENKUNST

127

Zeit- und Streitfragen.

Die deutsche Gartenkunst aus weiter Perspektive.

Von

Riehard Rothe, Northeast Harbor, Maine, N.-A.

Wenn ein Mann, der bis zu seinem dreifsigsten Jahre,
also während des Lebensabschnittes, in dem der mensch-
liche Geist für äufsere und innere Eindrücke am emp-
fänglichsten ist, in dem Boden des Landes seiner Geburt
gewurzelt hat, und wenn er dabei, von der Vorsehung be-
vorzugt, als das Land seiner Geburt das Deutsche Vater-
land nennen darf, dann nimmt er bei seiner Auswanderung
als unveräußerliches Vermächtnis des Volkstums seines
Stammes, in seiner Denkweise, seinem Fühlen und seinen
Lebensanschauungen jene idealen Güter vollwertig mit in
die Welt hinaus, die sein Stammvolk auszeichnen. Er
hat dann, nachdem draufsen eine Fülle neuer Gedanken
und praktischer Lebenserscheinungen auf ihn eingewirkt
und nachdem mit den Jahren das Bild sich in seinem
Inneren geklärt, Gelegenheit, die neuen Werte mit den
alten, ererbten zu vergleichen. Auf jene alten sieht er
aber dann immer aus einem ganz anderen Gesichtswinkel
denn derjenige, der als Glied seines Stammvolkes inmitten
von dessen öffentlichem Leben verblieben ist. Nebensäch-
lichkeiten hat die Zeit verwischt. Das Bild zeigt in seiner
Gesamtwirkung nur noch die Hauptzüge klar und deutlich
wahrnehmbar, denn die weite Perspektive ist eingenommen
worden.

Fachlich lediglich nur in der rauhen Schule der
Praxis aufgewachsen, ohne auf der Mitgliederliste der
Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst den Namen auch
nur eines einzigen persönlichen Bekannten zu finden, habe
ich die Strömungen und Gegenströmungen innerhalb der-
selben, sowie auch ganz besonders die von au Isen ange-
fachte, die Gartengestaltung im weiteren Sinne betreffende
Bewegung mit teilnehmendem Interesse aus dieser weiten
Perspektive verfolgt. Es ist im direkten Bezug auf die
Gartenkunst fürs erste jene Überfülle scharfsinniger, indi-
vidueller Deflationen rein ästhetischer Begriffe, in welcher
die Gegenwart vornehmlich glänzt. So bestechend, wie
diese Erscheinung im ersten Augenblick wirkt, kann ich
mich doch der Befürchtung nicht erwehren, dal's augen-
blicklich in der alten Heimat ein nicht zu unterschätzendes
Quantum von Scharfsinn, Intelligenz und künstlerischer
Phantasie nutzlos verpuflt wird, das. wenn es auf den
Boden praktischer Ausführbarkeit herabgebracht werden
könnte, der deutschen Gartenkunst zum weittragendsten
Gewinn gereichen müfste. Bei allen feinsinnigen Defi-
nationsgaben derer, die in der Zeiten Lauf das nahe Auf-
tauchen von etwas Neuem, Niedagewesenem auch für die
Gartenkunst ersehnen und nun um keinen Preis versäumen
möchten, der Sache wenigstens als Geburtshelfer zu dienen,
hat es offenbar noch keiner dieser nach schöpferischen
Ideen Ringenden ernstlich versucht, den Geist des bisher
Aufgebauten innerlich zu erfassen. Den klarsten Beweis
dafür liefert eine Auslese der beliebtosten Schlagworte,
die sich in der Wortakrobatik gegen das Bestehende in

jenen Kreisen eingebürgert haben. Es handelt sich um
die deutsche Gartenkunst. Wenn wir unter Kunst Wesens-
ausdruck verstehen, so mufs diese deutsche Gartenkunst,
in dem, was sie hervorgebracht und in ihrer gegenwärtigen
Betätigung, deutsches Wesen und deutsche Eigenart wieder-
spiegeln, sonst hätte sie nicht über ein volles Jahrhundert
das deutsche Volk befriedigen können. Das innerlich dem
deutschen Volkstum Sympathische mufs das Hauptmoment
auch für ihren ferneren Ausbau bleiben, wenn nicht die
Sache von vornherein verfehlt sein soll. Dies führt uns
zu der Frage, was hat die gegenwärtige Gartenkunst im
höheren Sinne charakteristisch deutsches an sich, wodurch
sie sich von allen andern nichtdeutschen Schöpfungen
unterscheiden läl'st. Darauf gibt es nur eine Antwort:
Die deutscheGartenkunst ist der lebendig plastische
Ausdruck der in der deutschen Volksseele tief ein-
geprägten feinsinnigen Liebe zur freien Natur. Aus
dieser an Tiefe unvergleichlichen Liebe, in der es keine andere
Nation der deutschen gleich tut, ist sie geboren und in ihr
wurzelt sie. Der Germane hat im Gegensatz zum Ro-
manen im Grunde seines Herzens nie Gefallen an äul'seren
Prunk, an künstlerisch rein dekorativer Schönheit ge-
funden, deshalb mil'slangen ihm auch alle Versuche, jene,
auf die Entfaltung von Glanz und Pracht abgestimmten
Schöpfungen der italienischen Renaissance und der Periode
Lugwigs XIV. und XV. nachzuahmen. Deshalb mufste
es auch eine vorwiegend germanische Nation sein, die,
als die Zeit erfüllet war, den Impuls zur heutigen, freien,
natürlichen Park- und Gartengestaltung gab. Aber wäh-
rend der eminent praktische Sinn, der bei den Angel-
sachsen überm Kanal vorherrscht, dort die Entwicklung
nach der rein ästhetisch künstlerischen Seite vielfach,
wenn auch nicht, zum Scheitern brachte, so doch ver-
llachte, blieb es der deutschen Sinnigkeit, dem deutschen,
die Dinge aus reicher, innerlicher Gemütstiefe schauendem
Künstlerauge, vorbehalten, die der natürlichen Gartenge-
staltung zugrunde liegenden Ideen erstens einmal zu er-
fassen, dann aber auch im unaufhaltsamen Werdegang in
jener malerischen Liniengebung und Freiheit zur Ent-
faltung kommen zu lassen, die fremdländische Sachver-
ständige heute im deutschen Park bewundern. Innerhalb
des weiten Rahmens, der von den lehrenden Meistern
festgelegt wurde, konnte und kann sich persönliche Auf-
fassung und künstlerische Eigenart ungehindert entfalten
und nach den verschiedensten Richtungen hin betätigen.
Der Deutsche ist aber von jeher auch eifriger Wissen-
schaftler gewesen, und diesem angeborenen Drange zu-
folge vereinigte er oft in seinen Landschaftsbildern, in
nie ermüdendem Sammeleifer, einen Reichtum an dendro-
logischon Schätzen, den z. B. der französische, englische
und amerikanische Park nur äufserst satten aufzuweisen
haben. Einem Völkerreis entsprossen, dessen Altvordern
schon in grauer Vorzeit im mystisch-religiösen Kult ihre
Gottheiten im E\inkel der Wälder oder auf freier Höhe,
im geweihten Haine suchten und verehrten, hat der
Deutsche seine Liebe für und seine Freude an der freien
natürlichen Baumvegetation als innerliches Erbteil von
seinen Vorfahren übernommen und, dafs er sich's bewahrt
 
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