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Die Gartenkunst — 8.1906

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Heicke, C.: Die Nachahmung der Natur in der Gartenkunst, [1]: Vortrag gehalten auf der Nürnberger Hauptversammlung der D.G.f.G. am 19. August 1906
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0226

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VIII, 11

DIE GARTENKUNST

213

die tatsächliche Nachahmung der Natur nur Malerei,
Plastik, dramatische Kunst und Gartenkunst übrig. Aber
selbst bei dieser Gruppe von Künsten wird mit Recht be-
tont, dafs die Nachahmung der Natur nicht ihr Wesen
ausmachen kann, weil sie dann allerdings dauernd
dazu verurteilt sind, hinter der Natur zurückzu-
bleiben. Selbst bei denen, die wie die dramatische Kunst
und die Gartenkunst in der Hauptsache mit lebendigen
Material arbeiten und die deshalb wohl am ersten in der
Lage wären, dem Naturvorbild nahe zu kommen, hat die
Anwendung des alten Lehrsatzes, dal's die Naturnach-
ahmung das Wesen der Kunst sei, seine ernstesten Be-
denken.

Insbesondere stellt sich dann von selbst die Frage
ein, was dann die ganze Kunst für einen Zweck habe,
da man sich doch lieber an das Vorbild halten könne, an-
statt sich mit minderwertigen Nachbildungen zu befassen.

Aber nicht das allein. Wenn das Nachahmen an
sich das Wesentliche in der künstlerischen Betätigung ist,
einerlei ob Malerei, Gartenkunst oder ein anderer Zweig, wenn
also der Trieb, der den Künstler zu seinen Schöpfungen an-
eifert und begeistert, durch die Nachahmung von Natur-
vorbildorn seine Befriedigung findet, dann wäre es gar nicht
einzusehen, warum derKünstler vorzugsweise nur das Schöne
und nicht auch das Unschöne und Hälsliche nachahmen sollte.
Denn es würde sich ja bei der Beurteilung nur um die
höhere oder geringere Vollkommenheit in der Nach-
ahmung handeln. Und wenn je einmal einer einen un-
schönen oder häfslichen Vorwurf für ein Bild verwerten
sollte, so mülste die künstlerische Leistung am höchsten
stehen, die die Unschönhcit und Häfslichkeit des Vorbildes
am krassesten wiedergibt.

In der Tat haben wir aber auch zu al.len Zeiten
Künstler gehabt und besonders in den letzten Jahrzehnten
traten sie unter den Malern und Dramatikern sehr hervor, die
mit Vorliebe die Nachtseiten des menschlichen Daseins,
Verbrechen, Armut, Not und Leid zum Gegenstand ihrer
Darstellungen gewählt. Diese Werke pflegen uns aber
durchaus nicht abzustofsen, wie ihre Vorbilder. Im Gegen-
teil, sie vormögen eine tiefgehende Wirkung auf uns aus-
zuüben, uns geradezu zu erwärmen, während oft genug
gelungene Bilder nach „schönen" Vorbildern uns voll-
ständig kalt und gleichgültig lassen.

Es muls also doch wohl mit der blofsen Nachahmung
nicht getan sein! Wenn es blofs auf die Nachahmung
ankäme, dann würde die schlechteste Photographie über dem
besten Gemälde stehen; denn die Photographie gibt doch
ein so getreues Abbild der wirklichen Natur (wenn man
von der Farbe absieht) wie es der Pinsel und Stift nie-
mals zustande bringen können, und doch ist dies photo-
graphische Bild trotz der Treue der Naturwiedergebung
niemals als ein Kunstwerk anzusprechen.

Bei der Betrachtung von Gemälden machen wir die
Wahrnehmung, dafs in manchen Fällen mit grofser
Treue die Natur nachgebildet ist, — und wieder andere
Bilder geben selbst die Hauptsachen nur in ganz groben
Zügen und verzichten vollständig auf die sorgfältige Durch-
arbeitung von Einzelheiten, die vielmehr nur eben ange-

deutet sind, — und doch üben sie oft eine tiefere und
nachhaltigere Wirkung auf den Beschauer aus als jene erst-
genannten.

Also auch hier sehen wir, dafs die Naturnachahmung
nicht das Wesen einer Kunst ausmachen kann, sondern
dafs es auf etwas anderes ankommt.

Schon ein alter Philosoph, der Neuplatoniker Plotin,
hat empfunden, dafs es mit der Nachahmung der Natur
nicht getan sei. Er hat der Kunst die hohe Aufgabe
zugewiesen, die Erhebung zum Unendlichen zu vermitteln
und er sagt: Die Schönheit des Kunstwerkes be-
ruht auf dorn Durchleuchten der Idee durch die
sinnliche Erscheinung; das will heifsen: Die Emp-
findungen und Gedanken, die den Künstler bei und zu
der Darstellung begeistert haben, müssen aus dem Werk
zu uns sprechen, dann erst wird es zum Kunstwerk.

Also nicht ein Abschreiben der Natur mit all ihren
Zufälligkeiten macht das Wesen der Kunst aus, sondern der
Schwerpunkt liegt darin, dal's durch den dargestellten
Gegenstand die schaffende Persönlichkeit, welche ihre Auf-
fassung in das Werk gelegt hat, zu uns spricht. Schlicht,
und klar und sachlich soll diese Sprache sein, damit die
Wahrheit und Schönheit unmittelbar von jedem empfäng-
lichen Auge empfunden werden kann. Wirkliche Kunst
steht der Natur nicht nachahmend gegenüber, sie
ist der Natur gegenüber souverän, sie meistert
die Natur, sie schafft Wirklichkeiten, die sich
neben die Natur stellen und den Vergleich mit
ihr nicht nur aushalten, sondern sie sogar
übertreffen können. Und was als Wahrheit in der
Kunst empfunden wird, ist weniger die sachliche Richtig-
keit des dargestellten Gegenstandes, als vielmehr die
zwingende Gewalt inneren Lebens, das der Künstler in sein
Werk hineingelegt hat.

Es ist also ein Wahn, dal's der Künstler die Natur
nachahme, eher kann man sagen: er ahmt der Natur
nach, d. h. er schafft wie sie oder sie schafft durch ihn.

Wenn wir diesen Gedankengang, bei dem ich in
manchen Punkten einem Vortrage gefolgt bin, den Prof.
Dr. Berger bei der Feier des Geburtstages dos Grofs-
herzogs von Hessen am 25. November vorigen Jahres in
Darmstadt gehalten hat, auf die Gartenkunst anwenden,
dann werden wir finden, dal's gerade hier sich die Richtig-
keit bestätigt. Gewifs, es ist vielfach in Schrift und
Wort davon gefabelt worden, dafs der Gartenkünstler
die Natur nachahmen müsse und dafs sein Werk um so
gröfseren Anspruch auf Anerkennung erlange, je mehr es
ihm gelungen sei, die Spuren seiner eigenen Tätigkeit zu
vorbergen und das Ganze als eine Schöpfung der Natur er-
scheinen zu lassen.

Selten beherrscht selbst ein Gartenkünstler das schöne
aber spröde Material seiner Kunst so, dafs ihm nicht
Naturwidrigkeiten, das sind hier Stilwidrigkeiten, unter-
laufen. Das ist die Klippe, an der die meisten scheitern!

Deshalb hat es also bedingte Berechtigung zu sagen,
das Werk ist gelungen, wenn es aussieht als könne es
die Natur selbst geschaffen haben. . (Schiufa folgt.)
 
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