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Die Gartenkunst — 14.1912

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Arntz, Wilhelm: Italienische Renaissance-Gärten, [10]: die römischen Villen
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0147

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XIV, 9

DIE GARTENKUNST.

139

Eines allerdings hat sich bei beiden zugleich so
entwickelt, daß es für Rom kennzeichnend geworden
ist. Das ist die Art der Anordnung und Verbindung
des Kasinos mit seiner näheren Umgebung, den Terrassen.
Sie geht aus von Raffaels Villa Madama, auf die wir
später noch näher eingehen werden. Während in
Florenz und Genua u. a. a. O. das Kasino zumeist
vollständig frei auf einer Terrasse steht, ist es hier
ganz an deren Rand oder meist noch darüber hinaus
vorgeschoben und mit dem Untergeschoß in sie
hinein versenkt, sodaß die Talfassade auf der nächst
unteren Terrasse aufsteht. Die Fassade erhält dadurch
meist eine im Verhältnis zu ihrer Breite unschöne
Höhe. Doch wird dieser Nachteil einigermaßen ge-
mildert durch die in der Höhe des Untergeschosses
beiderseitig anschließenden Terrassengärten. Die ein-
fache Klarheit der Beziehungen der Baumassen zum
Boden, wie wir sie z. B. bei der Petraia in Florenz
gesehen haben, geht verloren. Durch die höhere, zu-
meist geschlossene Talfront (d. i. ohne Loggia) er-
möglicht man eine palastartige Wirkung, auf große
Entfernung sichtbar. Dann aber erzwingt man wiederum
durch die Einfügung zwischen die langgestreckten
Terrassen eine starke Betonung der Horizontalen und
eine fühlbar wirksame Verbindung mit der Unterlage.
Das Gebäude ist förmlich in sie eingespannt. Etwas
Ähnliches fand sich zwar schon bei Michelozzos Villa
Medicea in Fiesoie, doch da als Ausnahme und durch
die anders unüberwindliche Steile des Geländes bedingt.
Hier aber war es durchaus nicht immer sachlich not-
wendig. Wenn man die Entwickelung der gesamten
Barockarchitektur, wenigstens in Rom, verfolgt, kann
man erkennen, daß solche Anordnung ein künstlerisches
Ideal ihrer Zeit erstrebt: Die Herstellung einer
Bildfläche. Bei den anderen Typen wird das
Kasino in der Ansicht von der unteren großen Terrasse
aus durch die obere Terrasse, auf der es steht, stark
überschnitten, es tritt infolgedessen zurück, und ver-
liert dadurch auch an Herrschkraft. Hier aber tritt
es mit der hohen Terrassenmauer in eine Fläche, die
quer durch das ganze Gesichtsfeld zieht. (Durch das
hinzugekommene Untergeschoß gewinnt es außerdem
an Kraft und beherrscht unmittelbar auch die große
untere Terrasse.) Die Bildwirkung, die Raumwirkung
ist dann eine ähnliche, wie z. B. in Villa Lante in
Bagnaia, wo die Zweiteilung mit den beiden Kasinos
dieselbe Bildfläche, nur noch viel schöner, herstellte;
denn da wurde die unbedingt nötige ergänzende Tiefen-
wirkung durch die mitten durchgehende Hauptachse
in idealer Weise herbeigeführt. Hier ist die Fläche
oft zu hart abschließend, z. B. bei Villa Doria. Bei
anderen wieder ist die Tiefe hergestellt durch eine
Abstufung der seitlichen Terrassen nach rückwärts,
durch Türmchen, welche über der Rückseite des Kasinos
stehen u. a. (Man vgl. auch die Schilderung des Auf-
ganges zum Laghetto in Villa Falconieri!) Wer weiß,
daß die Renaissance und ihr Nachfolger ihre Erfolge
nicht einem blinden instinktiven Darauflosschaffen ver-

danken, sondern strengen, konsequenten Studien, oft
allzu theoretisch, wer weiß, daß ein Lionardo da Vinci
für seine Malerei zu einem überragenden Naturwissen-
schaftler und Techniker geworden ist, daß der Bild-
hauer Michelangelo kraft seiner Studien die konstruk-
tiv und statisch unerhörte Aufgabe des Baues der
Peterskuppel löste, der wird sich über all das nicht
wundern. Am abhängigsten von dem glücklichen In-
die-Fläche-bringen und gleichzeitiger Hervorbringung
der Tiefe war die Bildhauerei. Michelangelo übertrug
ihre Grundsätze auf die Malerei (in der Sixtin. Kapelle),
gleichzeitig ging der Maler Tizian einen ähnlichen
Weg. Was kann es wundernehmen, wenn schließlich
auch die Architektur ihnen nachfolgte ? Auch in der
Kunst gibt es keine Willkür und Regellosigkeit, kein
blindes Daraufloswollen, für den Menschen der Gegen-
wart noch weniger als für den vor 400 Jahren. Es ist
darum kein Zufall und keine nutzlose, „unkünstlerische“
Theoretisiererei, wenn so echte, tiefe Künstler wie
Marees in der Malerei und Hildebrand in der Plastik auf
solche, für die Schönheit gesetzartigen, Notwendigkeiten
zurückkamen und ihnen neues, frisches Leben gaben.

In Frascati, Tivoli und Bagnaia sahen wir den
Höhepunkt der monumentalen Villenkomposition. Eben-
falls war er angebahnt durch Villa Madama. Die
andern römischen Villen, die Vignen, neigen zu einer
auffälligen Abweichung davon. Sie verzichten auf
eine monumental organische Gesamterscheinung. Nur
die engere Umgebung des Kasinos erhält einen ein-
heitlichen architektonischen Gedanken. Die übrigen
Teile gliedern sich an, mehr oder minder wie es ge-
rade der Zufall bringt, und in sich nicht mehr organisch,
sondern summarisch, „geometrisch“ gegliedert. Es
war mir lange unklar, ob das als ein Versagen der
Gestaltungskraft aufzufassen sei oder eine andere Ur-
sache habe. Denn man sieht ja kurz darauf Lenotre
aus noch gewaltiger ausgedehnten und vollständig
ebenen Besitzungen relative Einheiten erzwingen. Aber
auch in der nächsten Umgebung finden wir die präch-
tigen Beispiele einer kraftvollen Gestaltung, in Rom
selber an der Villa Madama. Es ist also wohl anzu-
nehmen, daß man bei den Vignen auf eine straffere
Durcharbeitung und Zusammenfassung einfach keinen
Wert legte. Warum —, das würde hier zu weit führen.
Immerhin ist es schon auffällig, wie z. B. bei der Villa
Doria eine große Kaskade seitlich in größerer Ent-
fernung und ohne jede Beziehung zum Kern der Be-
sitzung angelegt ist, wie in der Villa Medici das sum-
marisch, rhythmisch gliedernde Element das organische
zurückdrängt, und wie es im Garten des Quirinais
ausschließlich herrscht. Nur in der leider vernichteten
Villa Negroni, die eine der schönsten gewesen sein
muß, kann man einen größeren architektonischen Ge-
danken erkennen (Abb. 1 u. 2).

Es wird neuerdings behauptet, die Gärten der italie-
nischen Renaissance seien „geometrisch“, erst die des
Barock und die französischen architektonisch gewesen.
Das scheint mir eine recht gewagte, tatsachenfremde
 
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