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Die Gartenkunst — 14.1912

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Arntz, Wilhelm: Gartenkunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0320

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XIV, 20

DIE GARTENKUNST.

313

(der Art wie des Individuums) treten kann. Es fehlt
ihr zwar im Ansehen die rhythmische Wirkung der
ornamentalen Bauglieder und sie gibt der schaffenden
Phantasie keine Gelegenheit zur Betätigung, aber sie
ersetzt das durch die Unwägbarkeiten ihrer malerisch
gewordenen, von Anlage jedoch streng tektonischen
und rhythmischen Struktur, und gibt bei dem Reichtum
an Arten und Sorten einer feinen Kompositionsgabe
eine sehr edle Gelegenheit zur Äußerung. — Vielleicht
kann man hier darauf hinweisen, daß alles in der Natur
streng tektonisch, architektonisch ist, vom einfachen
Kohlenstoffatom bis zum Apfelbaum, und sogar bis
zum Menschen, und daß die malerische Zufälligkeit
stets erst durch das Geschehen außerhalb, durch das
Chaos voneinander unabhängiger und einander zugleich
bedrängender, einander unabsichtlich verändernder
Willen hervorwächst. —

Die Phantasie des räumlichen Gestaltens findet im
Garten eine Freiheit, wie vielleicht nirgends im Haus-
bau. Sie besitzt die volle Gewalt über den Raum im
allgemeinsten Sinne und hat in der unerschöpften
Fülle des Pflanzenmaterials, des Geländes und der
Situationen die Möglichkeit der feinsten und der stärk-
sten Variation, von der ganz großen, mit der Um-
gebung Werte tauschenden Gesamtform bis zur in-
timsten Einzelheit. Freilich hat sie dafür auch Grenzen,
deren stärkste sind die ständigeVeränderung der Pflanzen,
die Beschränktheit der Höhe im Wuchs der Pflanzen,
und das späte, oft erst nach dem Tode des Schöpfers
reifende Eintreten der vollen Wirkung.

Denken wir nur an die einzelnen Möglichkeiten
der Raumgestaltung! Da ist einmal der einfachste,
eng umschlossene Raum (im speziellen Sinn) sowohl
in schärfster Klarheit durch die strengen Linien ge-
schnittener Heckenwände wie stärkster Intensität in-
folge vollständiger Umschließung mit überhaushohen,
schattenschweren, luftig massigen Baumreihen. Dann
die malerische Milderung der Raumform durch frei-
wachsende Umwandungen der verschiedensten Größe,
Charakters und Farbe. Weiter die wirkungsvolle,
mannigfache Möglichkeit der Verbindung mit dem Um-
raum sowohl durch die Anordnung, mit tektonischer,
rhythmischerodermalerischerDurchbrechung derWände,
wie durch die Wahl des Materials (Architektur, Pflanze,
Plastik) und seiner spezifischen Eigenschaften, als auch
durch Verminderung der Höhe und Stärke des Rah-
rnens bis zu einem Minimum. Schließlich auch die
rhythmische und proportionale Gliederung solchen Rau-
rnes selber, dazu in anderen Fällen seine malerische
Belebung, Verstärkung z. B. durch einzelne Bäume,
Sträucher oder Blumen. Dazu kommen die starken
Unterschiede vollwertiger Raumfülle in engen und hohen
Räumen, z. B. Lichtungen, Alleen und in unabsehbaren
Weiten (scheinbar) der Fläche sich nähernden Raum-
formen. Die erhebende Raumwucht freier, hoher
Lage, die seit der italienischen Renaissance kaum mehr
rnit Bewußtsein verwertet wurde und ihrerseits doch
wiederum eine Fülle der Lösungsmöglichkeiten in sich

trägt. Die eigene Raumwirkung strenger oder male-
rischer Hainpflanzungen. Sogar die einzelnen Bäume.
Und so fort ohne Ende. Das sind zusammenhanglose
Andeutungen. Sie erschöpfen nicht die Mannigfaltig-
keit dieser Möglichkeiten und ihrer Kombinationen. —
Dazu aber denke man sich die unfaßliche Form- und
Wesensverschiedenheit des Materials. Den unendlichen
Reichtum verhalten rhythmischer, klingender Linie,
z. B. in der hohen Kiefer, der Birke, dem Apfelbaum,
der Heckenkirsche, dem Holunder und zahllosen an-
deren, oder nordisch ausdruckschwerer, klangloser Linie
in der Tanne, Buche, Ulme, Esche. Die Mannigfaltig-
keit ihrer Gesamtform und der Struktur ihres Körpers
bis ins Feinste der zarten Blätter, Blüten, Früchte und
Zweige. Ihre Farbe, das tief samtig goldige Grün der
Tanne, das im Abendnebel ganz in klarflüssiges dunkles
Blaugrün oder Violettgrün versinkt, oder das harte,
helle Grün der heimischen Eiche, das bräunliche der
Buche, das als brennendes Gelb, Braun und Rot bis
zum Frühjahr in den Wäldern dorrt, das silbrig oder
goldig flimmernde, bleiche Grün der Weiden, das
weiche, tiefe der Heckenkirsche usf. Dazu nun die
Pracht der Blüte, der eigenen oder der fremder
Nachbarpflanzen, die diskreten Gegensätze der Rinden-
farbe, die freilich bei der Kiefer und der Birke
zu einem flammenden Hauptelement werden, und
der oft gar eindrucksvoll hervortretende Schmuck
der Fruchtfarbe. Nicht zu reden von der Pracht des
kahlen Astgerüstes im Winter. Auch das läßt sich
nur andeuten. Ebenso die Werte der Kleinpflanzen,
der Blatt- und Blütenstauden und der Blumen über-
haupt. Man wird auch da seine Sinne noch viel weiter
verfeinern, die Verwendung viel sorgsamer durcharbeiten.
Der Laie kann sich zwar immer noch nicht vorstellen,
wie man für eine Staudenrabatte oder sonstige Art
des Blumenschmuckes sich eingehende Überlegungen
machen könne. Wer aber, wie viele Leute in England,
mit seinen Blumen lebt, der weiß, daß man da in
Deutschland noch kaum geahnte Schönheiten hervor-
bringen kann. Wie roh werden, um ein Beispiel an-
zuführen, Tulpen verwendet, einfach zu Riesenblüten-
kuchen zusammengepfercht, in denen die melodiöse
Form- und Farbenschönheit dieser Blume für einen
grellen Farbeneffekt erdrückt wird. Oder wer macht
sich Gedanken, wie man die überirdisch scheinende
Schönheit unserer weißen Lilie durch form- und farb-
gerechte Verwertung in einer dazu bestimmten Gesamt-
komposition zu ihrem Rechte bringen kann? Es gibt
Blumen, abgesehen von den großen und kleinen Blatt-
stauden wie Farne, Akanthus, Herkuleskraut usf., die
vor allem durch die Ausgesprochenheit ihrer Form
und ihres Charakters ganz bestimmte formale Wir-
kungen geben und dementsprechende Verwertung ver-
langen, und deren Blütenfarbwirkung ohne diese nur
eine geringe ist, durch sie aber aufs höchste gesteigert
werden kann. Es gibt andere, von mehr neutraler
Form und ausgesprochenem Massencharakter, die nur
in größerer Menge ihre Stärke der Wirkung finden.
 
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