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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 2.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.6337#0086

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S. 54, 55 veröffentlicht. Auch die vorliegende Kompo-
sition scheint mir am ehesten in die Richtung Ver-
meyens zu weisen. Wouter Crabeth (L) kann dem Stil
der Blätter nach nur der IL, der Ketelschüler sein
(auch O. M. Draw. XI, Tl. 44). Der Stil des I. ist durch den
Riß für das Judithfenster in Gouda (Albertina) ge-
sichert. Ausführliche Register (auch nach Realien) er-
höhen die Verwendbarkeit der außerordentlich wert-
vollen und bedeutsamen Publikation. Otto Benesch

Matthias Grünewald in seinen Werken. Ein
physiognomischer Versuch von Wilhelm Fraenger.
Mit 90 Abbildungen. Berlin (1936), Rembrandt-Verlag.

Wilhelm Fraenger zerlegt seinen Stoff in drei
Kapitel. Im ersten: „Matheus Gothart-Nithart, Grüne-
wald genannt" wird auf Grund der verschiedenen
archivalischen Funde des letzten Jahrzehnts, ins-
besondere W. K. Zülchs, Ludwig Seiberts und Gertrud
Tiemanns, festgestellt, daß der seit Sandrart Grüne-
wald genannte große, ganz große Meister, der einzige
wirkliche Gegenspieler Albrecht Dürers, Matheus Got-
hart, mit dem Spitznamen Nithart, ist und daß der
Maler des Isenheimer Altars und der „Wasserkunst-
macher" der Mainzer Erzbischöfe Ulrich von Gem-
mingen und Albrecht von Brandenburg ein und die-
selbe Person sind. Im zweiten Kapitel bespricht der
Autor die „Selbstbildnisse Grünewalds". Er geht dabei
von den beiden Kupferstichen aus, die uns Sandrart
als Bildnisse des Meisters überliefert hat. Es ist un-
möglich, daß sie, trägt man auch größtmöglicher Ver-
änderung durch die zwischen beiden liegenden Jahre
Rechnung, die nämliche Person darstellen. Beide Per-
sonen kommen auf dem Isenheimer Altar, und zwar
an hervorragenden Stellen vor, beide sind dort näm-
lich dessen Besteller, dem Abte des Antoniterhauses
Guido Guersi, gegenübergestellt, die jüngere als Se-
bastian, die ältere als Paulus Eremita. Welche ist
Grünewald? Fraenger entscheidet sich auf über-
zeugende Weise für die ältere, die auch auf Grünewalds
eigenhändiger Zeichnung in der Erlanger Universitäts-
bibliothek dargestellt ist. Wir kennen auf Grund der
außerordentlich aufschlußreichen Entdeckung des
amtlichen Verzeichnisses von Grünewalds Hinter-
lassenschaft dessen Todesjahr, es ist das Jahr 1528,
also dasselbe wie das Dürers, aber wissen noch immer
nicht, wann er geboren ist. Nimmt man mit Fraenger
an, daß uns der der Erlanger Zeichnung entsprechende
Kopf des Paulus Eremita auf dem Isenheimer Altar
die Züge Grünewalds übermittelt, so ist — entgegen
der bis vor kurzem herrschenden Meinung — der
Isenheimer Altar das Werk eines Fünfzigjährigen,
nicht eines Dreißigjährigen. Dann wäre Grünewald um
1460 geboren. — Das gewisse, aus schwedischem Privat-
besitz stammende, M N signierte Selbstbildnis eines
deutschen Malerjünglings, das vor etlichen Jahren
solchen Staub aufgewirbelt hat und als Selbstbildnis

Grünewalds ausposaunt wurde, lehnt Fraenger als
letzteres ab, hält dagegen daran fest, daß der junge
Maler später ein Geselle Grünewalds geworden
sei und diesem für den Sebastian auf dem Isenheimer
Altar Modell gestanden habe. Außer in der Erlanger
Zeichnung und im Paulus Eremita findet Fraenger
das echte Grünewaldbildnis auch noch in dem un-
beteiligten bärtigen Zuschauer im Hintergrund der
Münchener Verspottung Christi (1504), im Longinus
der Baseler Kreuzigung (1508) und im Patrizier
Johannes auf dem Mariaschneebild des Museums von
Freiburg i. B. (1519) wieder. — Im dritten Kapitel:
„Matthias Grünewald in seinen Werken" weist
Fraenger „in umfassender Betrachtung nach, wie sich
die leibhafte Gestalt des Meisters in seiner kunst-
haften Gestaltung zu erkennen gibt". Dies ist der
interessanteste und aufschlußreichste Teil des Buches
und hier ist auf meisterhafte Weise dargetan, wie eine
Künstlerpersönlichkeit aus ihren Werken heraus
psychologisch ergründet, wie die aus Künstlerselbst-
bildnissen geschöpfte physiognomische Erkenntnis dazu
verwendet werden kann, in des Künstlers ureigenstes
und geheimnisvollstes Wesen tiefste Einblicke zu ge-
winnen. Daß Fraengers Arbeit geistreich und originell
vom Anfang bis zum Ende und in höchst persönlicher,
ungemein eindringlicher und anschaulicher Sprache
geschrieben ist, war von ihm nicht anders zu erwarten.
Das Buch leuchtet tief in das rätselhafte Dunkel hin-
ein, das die wunderbare Erscheinung Grünewalds
immer noch umgibt, und weist der kunstgeschicht-
lichen Forschung neue Wege und neue Ziele.

Die Abbildungen sind zahlreich und größtenteils
gut, die Wiedergaben vollständiger Bilder in der Regel
schwächer als die von Einzelheiten. Mußte die Farb-
tafel gebracht werden? Gewiß ist ein Grünewald ohne
Farben eine schmerzliche Unzulänglichkeit, aber in so
kleinem Maßstab war der Versuch, den unvergleich-
lichen farbigen Eindruck des Originals festzuhalten,von
vornherein zum Scheitern verurteilt.

Zum Schluß ein paar bescheidene Anmerkungen.
Eine Ähnlichkeit zwischen dem aus Schweden ge-
kommenen Selbstbildnis eines deutschen Malerknaben
vom Ende des 15. Jahrhunderts und dem Sebastian
des Isenheimer Altars ist zweifellos vorhanden. Aber
geht sie wirklich so weit, daß man, wie Fraenger dies
tut, die Identität der beiden als unerschütterliche
Sicherheit hinnehmen kann ? — Auf dem einen Städel-
bild hat Zyriakus nicht eine Manipel, sondern die über-
lange Stola um den Hals der fallsüchtigen Prinzessin
geschlungen. - - Auf der Zeichnung der gekrönten
Gottesmutter mit dem Kinde in der Sammlung
Koenigs in Haarlem steht Maria doch wahrscheinlicher
auf dem Mond als auf der Sonne, wie etwa auf Dürers
Stichen B. 31 und 32. Grünewald gibt den Mond voll,
als Kugel und nicht als Sichel wieder. Bei der Sonne
wären die Strahlen wesentlich gewesen. A. W.

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