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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0037
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Basel

ner Brauenlinie; der Mund erscheint als tiefroter geschwungener Farbenfleck. Beachtens-
wert ist die Fertigkeit in der Erzielung der Spaltwirkungen, die Kinn- und Halslagen sind
virtuos gelöst, das gleiche gilt von den Ovalspalten, die das Wangenrot — ein rosa Fleck —
rahmen und betonen. Äußerst geschickt ist Blatt- und Blumenwerk gebildet. Den schwarzen
Kelch faßt ein gelblicher Kreis; das Tiefrot der Blütenblätter, der Rundung entsprechend
geschwungen, wird von einem helleren Rot abgelöst, von einer weißlichen Grenzlinie am
Außenrund geschlossen. Die lanzettförmigen Blätter teilen sich in eine dunkle sattgrüne
und eine hellere Lage, durch eine weiße — nicht braune — Rippe getrennt. Die Technik be-
dingt in ihrer einfachen Struktur ein wesentlich schnelleres Arbeiten am Hochstuhl als das
weitaus schwierigere Schraffenverfahren; sie setzt bei all ihrer Einfachheit ein starkes
Formempfmden, eine lange, durch viele Geschlechter vererbte Übung voraus, wenn nicht
der Eindruck des Rohprimitiven störend in Erscheinung treten soll, ein Übelstand, der den
Tierteppichen wahrlich nicht nachgesagt werden kann. Die vorliegenden Behänge, die, den
Trachten nach zu urteilen, um 1430 entstanden sind, bedingen eine mindest hundertjährige,
wenn nicht wesentlich längere örtliche Wirkereipraxis.

Die Farbengebung ist leuchtend, dabei in der Zusammenstellung der Töne außerordent-
lich harmonisch, jede Tiefenwirkung ist vermieden; die Tierteppiche zeigen einen weit
flächigeren Charakter als die gleichzeitigen westlichen Erzeugnisse, die in weit höherem
Maße auf Bildwirkung eingestellt sind. Das einzige Merkmal, das die Behänge mit den
Erzeugnissen Frankreichs und der Niederlande verbindet, ist das Bestreben, größere ein-
heitliche Flächen, wie die Tierleiber, die Ärmel der Knaben und Mädchen, die durch die
eigenartige streifenförmige Farbengebung in weit höherem Maße einer plastischen Durch-
bildung widerstreben, durch aufgelegtes Ornament (Rhomben, Kreise, Kreuze) zu decken,
das den dekorativen Reiz erhöht, die Flächenhaftigkeit in noch stärkerem Maße betont. Im
übrigen ist es zweifelhaft, ob die Scheibenornamente auf den Tierleibern dem erfinderischen
Geiste des Entwerfers entsprungen sind, oder nicht eher auf kolorierte Holzschnitte — in
der Art der heiligen Margarete mit dem Drachen (mit roten Scheiben) — zurückgehen41).

Die Deutung der von den Jünglingen und Jungfrauen geführten, mit Blumengeißeln ge-
züchtigten Ungeheuer, ist aus der im 15. Jahrhundert stark verbreiteten Bestiarienliteratur
unschwer zu erklären. Die seltsamen Ungetüme identifizieren Laster, von ihren Bekämp-
fern, den Knaben und Mädchen, gebändigt. Schwierigkeiten bereitet lediglich die richtige
Deutung der einzelnen Tiere, schon aus dem Grunde, weil die mittelalterlichen Bestiarien-
bücher bei den nicht gängigen Symbolen mehr oder weniger starke Abweichungen verzeich-
nen. Es kommt hinzu, daß die örtliche Auslegung durch Maskenspiele vielfach verschlun-
gen und verwirrt wird. Nur eingehende lokale Kulturstudien dürften hier endgültigen Auf-
schluß gewähren. Im übrigen scheint die Deutung Moritz Heynes42), der Burckhardt in sei-
nem Werke folgt, im wesentlichen das Richtige getroffen zu haben43). Schließlich ist zu be-
denken, daß die oberrheinischen, überwiegend volkstümlich eingestellten Behänge von
literarischen Leitfäden in geringerem Maße beeinflußt wurden, als die Erzeugnisse der
Zentren des Westens, die für die Hocharistokratie produzierten, denen bei wesentlichen
Folgen stets ein genauer handschriftlicher Abriß zur Verfügung stand. Die Heidnischwir-
kerin wird sich nicht immer heftige Kopfschmerzen gemacht haben, der Dame oder dem
Herrn das richtige Tier zuzugesellen; die Patronen dürften in vielen Fällen willkürlich, d. h.
rein dekorativ zusammengestellt worden sein, ähnlich der „Chambre de verdure de fine
estoffe ä petiz hommes sauvaiges", die 1483 auf Schloß Amboix hing, die sich der Wild-
leute lediglich als schmückendes Element ohne tieferen didaktischen Sinn bediente44).

Daß es sich bei dem großen Rücklaken im Basler Historischen Museum um das Erzeugnis
einer berufsmäßigen Werkstatt handelt, beweist m. E. die Tatsache, daß Kopien bekannt
sind. Einmal kommt ein Fragment (H. 0,75 m, L. 3 m). ehedem in der Sammlung Meyer -

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