Basel
Wiener Teppichs nicht in glatten Windungen verlaufen, sondern sich an den Enden krin-
geln, ein Zugeständnis an den sich naturgemäßer, bewegter gebärdenden Zeitgeschmack.
Die Durchbildung der Gesichtszüge weicht bis auf den ersten Wildmann, der den alten
Habitus wahrt, insoweit ab, als die Augen enger, geradezu verkniffen, der Mund kleiner wie-
dergegeben sind. Die Musterung der Ungeheuer zeigt die bekannten konzentrischen Kreise,
erweitert durch ein blütenartiges Motiv, das wesentlich weitmaschiger dem Leibe des Mon-
strums aufgestreut ist58). Der schwarze Hintergrund ist mit stumpfmattgrünen Ranken mit
eingeflochtenen Liebesknoten in der typischen lappigen Form übersponnen; große gotische
Initialbuchstaben tvbo-r-en-g decken stellenweise das Gerank. Betty Kurth hält
mit Recht die Deutungen Hanns59), von Ankershofens60) und Ilgs für abwegig, die die Ge-
samtdarstellung mit dem Kampfe des Menschen gegen die bösen Lüste (Tiere), mit dem
schließlichen Sieg der Reinheit (Einhorn) identifizieren. Die Schriftbänder sagen unzwei-
deutig, daß die Waldmenschen sich gerade von den Tücken der Welt abwenden und zu den
,,dierlin" flüchten, die im vorliegenden Falle unmöglich das böse Sinnen verkörpern können.
Es geht ebensowenig an, die Waldmenschen mit den schlimmen Seelenregungen des vielge-
plagten Homo in Verbindung zu bringen, sie würden sich nicht so abfällig über die Tücken
der Welt äußern. Die zwei ersten Bestien spotten der einwandfreien Deutung an Hand der
mittelalterlichen Tierbücher; das Kamelhaupt ist nicht gerade mit Tugenden in Verbindung
zu bringen, ebensowenig der Greif. Es bleibt als Schlußergebnis die Folgerung, daß die
Waldmenschen das aus der Literatur des 14. und 15. Jahrhunderts wohlbekannte Klage-
lied der Untreue singen, daß die eingestreuten Tiere die unberührte phantastische Natur
verkörpern. Die Bestien geben zudem den Waldmenschen, die sich als Einzelfiguren schwer
einfügen lassen, zum mindesten in der Häufung langweilig wirken, den Vorwand einer Be-
schäftigung, kurz die Handlung wird bewegt, der fortschreitenden bildmäßigen Erzählung
angepaßt. Die Liebesknoten sind lediglich Ornament, sie lägen sonst, von den enttäuschten
Waldleuten zerpflückt, am Boden. Ähnlich verhält es sich möglicherweise mit den Initialen.
Es ist kaum anzunehmen, daß sie die Anfangsbuchstaben eines Sinnspruches, der dann
allgemein bekannt gewesen sein müßte, bilden. Der Klagenfurter Teppich steht technisch
im Gegensatz zu der Dame mit dem angeketteten Löwen, er verrät unzweideutig die Tätig-
keit eines lang eingearbeiteten Ateliers. Ein Fragment um 1440 mit einem Wildleute-Liebes-
paar und dem Spruch von dem seltenen Gast „Treue" auf dunkelblauem Grund mit den
bekannten Ranken (H. 49 cm, L. 41,5 cm) eignet der Sammlung L. Bernheimer, München61).
B. Kurth weist der Gruppe einen Tierteppich62) im Schweizerischen Landesmuseum
(H. 1,26 m, L. 2,65 m, Abb. 10) zu, der als Hintergrundmotiv das lappige Rankenmuster
zeigt, überdeckt von drei seltsamen Vögeln — der mittlere trägt eine Krone — mit Greifen-
köpfen. Auch hier ist m. E. von einem allegorischen Sinne keine Rede. Hinsichtlich der
technischen Durchbildung besteht an der Zugehörigkeit zu der bislang besprochenen Gruppe
kein Zweifel.
Weniger gesichert erscheint mir die Anfügung des bekannten Wartburgbehanges
,H. 0,96m, L. 3,83 m, Abb. II)63), der zwar wiederum das krautartige Muster bringt, in der
technischen Erfassung aber dem „Baumgarten der Liebe" im Historischen Museum zu
Basel, der zweifelsohne dem Elsaß entstammt, nahe steht: Wiedergabe des Baumschlages in
Gestalt starker farbiger, unharmonischer Streifen, schematisch gelagerte, scharf begrenzte
Erdhügel, gewebeartig gelöstes hartes Wolkenband, in Summa ein schärferes, bunteres
Gesamtbild. Das Getier — Löwe, Hirsch, Greif, Einhorn, Löwe, Hirsch — würde allegorisch
gedeutet, bis auf den Greifen, lediglich die guten Seelenkräfte verkörpern, m. E. kommen
jedoch keine symbolischen Spekulationen, sondern lediglich rein dekorative Momente in
Frage.
Die bisher behandelten Tierteppiche, die bis auf wenige Stücke auf verschiedene hand-
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Wiener Teppichs nicht in glatten Windungen verlaufen, sondern sich an den Enden krin-
geln, ein Zugeständnis an den sich naturgemäßer, bewegter gebärdenden Zeitgeschmack.
Die Durchbildung der Gesichtszüge weicht bis auf den ersten Wildmann, der den alten
Habitus wahrt, insoweit ab, als die Augen enger, geradezu verkniffen, der Mund kleiner wie-
dergegeben sind. Die Musterung der Ungeheuer zeigt die bekannten konzentrischen Kreise,
erweitert durch ein blütenartiges Motiv, das wesentlich weitmaschiger dem Leibe des Mon-
strums aufgestreut ist58). Der schwarze Hintergrund ist mit stumpfmattgrünen Ranken mit
eingeflochtenen Liebesknoten in der typischen lappigen Form übersponnen; große gotische
Initialbuchstaben tvbo-r-en-g decken stellenweise das Gerank. Betty Kurth hält
mit Recht die Deutungen Hanns59), von Ankershofens60) und Ilgs für abwegig, die die Ge-
samtdarstellung mit dem Kampfe des Menschen gegen die bösen Lüste (Tiere), mit dem
schließlichen Sieg der Reinheit (Einhorn) identifizieren. Die Schriftbänder sagen unzwei-
deutig, daß die Waldmenschen sich gerade von den Tücken der Welt abwenden und zu den
,,dierlin" flüchten, die im vorliegenden Falle unmöglich das böse Sinnen verkörpern können.
Es geht ebensowenig an, die Waldmenschen mit den schlimmen Seelenregungen des vielge-
plagten Homo in Verbindung zu bringen, sie würden sich nicht so abfällig über die Tücken
der Welt äußern. Die zwei ersten Bestien spotten der einwandfreien Deutung an Hand der
mittelalterlichen Tierbücher; das Kamelhaupt ist nicht gerade mit Tugenden in Verbindung
zu bringen, ebensowenig der Greif. Es bleibt als Schlußergebnis die Folgerung, daß die
Waldmenschen das aus der Literatur des 14. und 15. Jahrhunderts wohlbekannte Klage-
lied der Untreue singen, daß die eingestreuten Tiere die unberührte phantastische Natur
verkörpern. Die Bestien geben zudem den Waldmenschen, die sich als Einzelfiguren schwer
einfügen lassen, zum mindesten in der Häufung langweilig wirken, den Vorwand einer Be-
schäftigung, kurz die Handlung wird bewegt, der fortschreitenden bildmäßigen Erzählung
angepaßt. Die Liebesknoten sind lediglich Ornament, sie lägen sonst, von den enttäuschten
Waldleuten zerpflückt, am Boden. Ähnlich verhält es sich möglicherweise mit den Initialen.
Es ist kaum anzunehmen, daß sie die Anfangsbuchstaben eines Sinnspruches, der dann
allgemein bekannt gewesen sein müßte, bilden. Der Klagenfurter Teppich steht technisch
im Gegensatz zu der Dame mit dem angeketteten Löwen, er verrät unzweideutig die Tätig-
keit eines lang eingearbeiteten Ateliers. Ein Fragment um 1440 mit einem Wildleute-Liebes-
paar und dem Spruch von dem seltenen Gast „Treue" auf dunkelblauem Grund mit den
bekannten Ranken (H. 49 cm, L. 41,5 cm) eignet der Sammlung L. Bernheimer, München61).
B. Kurth weist der Gruppe einen Tierteppich62) im Schweizerischen Landesmuseum
(H. 1,26 m, L. 2,65 m, Abb. 10) zu, der als Hintergrundmotiv das lappige Rankenmuster
zeigt, überdeckt von drei seltsamen Vögeln — der mittlere trägt eine Krone — mit Greifen-
köpfen. Auch hier ist m. E. von einem allegorischen Sinne keine Rede. Hinsichtlich der
technischen Durchbildung besteht an der Zugehörigkeit zu der bislang besprochenen Gruppe
kein Zweifel.
Weniger gesichert erscheint mir die Anfügung des bekannten Wartburgbehanges
,H. 0,96m, L. 3,83 m, Abb. II)63), der zwar wiederum das krautartige Muster bringt, in der
technischen Erfassung aber dem „Baumgarten der Liebe" im Historischen Museum zu
Basel, der zweifelsohne dem Elsaß entstammt, nahe steht: Wiedergabe des Baumschlages in
Gestalt starker farbiger, unharmonischer Streifen, schematisch gelagerte, scharf begrenzte
Erdhügel, gewebeartig gelöstes hartes Wolkenband, in Summa ein schärferes, bunteres
Gesamtbild. Das Getier — Löwe, Hirsch, Greif, Einhorn, Löwe, Hirsch — würde allegorisch
gedeutet, bis auf den Greifen, lediglich die guten Seelenkräfte verkörpern, m. E. kommen
jedoch keine symbolischen Spekulationen, sondern lediglich rein dekorative Momente in
Frage.
Die bisher behandelten Tierteppiche, die bis auf wenige Stücke auf verschiedene hand-
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