Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0074
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Basel

grünen Rasenstreifens ist spärlich und hat, abgesehen von dem Streben nach Naturalis-
mus, wenig Beziehungen zu den saftstrotzenden Gewächsen der Vorgruppe. Künstlerisch
vollendet ist die außerordentlich stimmungsvolle Farbenharmonie; die Kombinationen von
Saftgrün, Zartgelbbraun, Dunkelblau, Dunkelgrün, Hellblau, gegen den Rot-Rosa Brokat-
hintergrund gestellt, sind von seltenem Reiz. Die feierliche Ruhe, die über dem Ganzen
liegt, läßt den schwachen Karton und die mangelhafte Technik vergessen. Im übrigen
widerstrebt der Teppich mit den fünf weiblichen Heiligen der bedingungslosen Einfügung
in eine der zuvor genannten Gruppen. Er ist sicherlich nicht in Basel, sondern in einem
zunächst noch unbekannten Kloster des Aargaus entstanden. Ob Hermetschwil in Frage
kommt? H. Bullinger berichtet in seinem „Verzeichnis der Bullingerin 1568"145), daß seine
„Ältermutter" in Bremgarten bei Hermetschwil im Alter von 82 Jahren gestorben sei; sie
habe von ihrer Mutter die Kunst des Wirkens „die heidnischarbeit genampt" gelernt, „die
nit gar brüechlich zur selben Zeit war". Das Wirkergeschlecht der Bullinger war demnach
in Bremgarten ansässig. Die Möglichkeit, daß Hermetschwiler Klosterfrauen die Wirkerei
in dem Städtchen einführten, ist natürlich nicht ausgeschlossen; es kann aber ebensogut
umgekehrt gewesen sein. Im übrigen findet sich zunächst kein urkundlicher Beleg, der
von der Heidnischwirkerei in Hermetschwil spricht. R. F. Burckhardt146) stützt seine
Theorie in erster Linie auf den Auferstehungsteppich (Abb. 39, H. 0,92 m, L. 1,62 m) im
Historischen Museum zu Basel, der die Wappen von Hettlingen und von Hofstetter trägt.
Der an der linken Seite unvollständige Behang (6 Kettfäden) verwendet Wolle und Seide.
Den tiefblauen Grund deckt ein saftgrüner, großgemusterter Seidenbrokat mit gelbgrünen
Einfassungslinien. Der Erlöser entsteigt in rotem, grüngefüttertem Mantel, die Siegesfahne
in der Rechten, dem schräg gestellten Sarkophag; Engel in gelben bzw. grauen Gewändern
nehmen anbetend Aufstellung; die Flügel schimmern in Blau, Rot und Gelb. Zur Rechten
steht die heilige Veronika im roten Kleid, blauem, graubraun gefüttertem Mantel, in den
Händen das Tuch mit dem Abdruck des blutigen dornengekrönten Hauptes, zur Linken
hält Maria Magdalena (in gelbem Gewand und rotem, blau gefüttertem Mantel) das Salb-
gefäß. Links oben erscheint das Schild der Hettlingen, als Gegenstück rechts das Wappen
(rechts von Rot und Weiß schräg geteilt) derer von Hofstetter.

Die Anwesenheit der heiligen Veronika wäre zwanglos mit der Namensheiligen der
Veronika von Hettlingen in Verbindung zu bringen, die von 1490 bis 1498 Meisterin zu
Hermetschwil und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Stifterin des Teppichs war.
Begründen die Wappen nun auch ohne weiteres die Zuschreibung an die Wirkerstätte
Hermetschwil, sind stilistische und technische Beziehungen zu den bislang besprochenen
Behängen festzustellen? Stilistisch gewiß, jedoch nur in soweit, als die Zugehörigkeit zur
oberrheinischen, insbesondere Schweizer Gruppe nicht zu bestreiten ist. Im übrigen steht
der Teppich, genau wie der Behang mit den fünf weiblichen Heiligen ganz isoliert da. Der
blaugrüne eintönige Rasengrund ist durch starke senkrechte Schraffen in verschwommen
angedeutete Hügelchen geteilt. Der eckige magere Pflanzenwuchs — nur links gebärdet
sich das Blattwerk fülliger, saftiger — findet sich in der gleichen unbeholfenen Form, die
jede Beobachtung der Natur, zumal in einer so späten Wirkerei (um 1496) missen läßt, in
keinem der früheren Teppiche. Das Seidengewebe mit dem Fransenbehang schließt sich
in weit stärkerem Maße den Hintergrundmotiven der zuvor besprochenen Wirkereien an.
Kein sonderliches Wunder, da es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Wiedergabe
vorhandener Brokate handelt, die eine selbständige stilistische Durchbildung überflüssig
erscheinen ließen.

Bemerkenswert ist die Lösung des lebensvoll erfaßten Hauptes Christi mit den bewegten,
tiefbraun und rotbraun geschichteten Locken, die sich in gleicher Form zuvor nicht fest-
stellen lassen. Der Kinnbart ist stark gewellt, jedoch an den Enden nicht hakenförmig

60
 
Annotationen