Bodenseegegend. Schweiz. Grenzgebiete Süddeutschlands
gefüttertem Mantel, in der Hand Hammer und Zange (?) Aufstellung. Zu Füßen der
zweiten Heiligen stehen zwei zu einander geneigte Wappen, die heraldischen Bilder der
oberrheinischen Familie von Muntprat und des Schweizer Geschlechtes Mötteli von Rappen-
stein. Ein Rasenfries streckt sich als Gegenstück zum Wolkenband zu Füßen der drei
Abteilungen. Als Material dienen Wolle, Leinen und Gold (im Nimbus des Erlösers); die
Textur ist mit 6 Kettfäden mittelfein. Als Auftraggeber kommen Rudolf II. Mötteli von
Rappenstein, der Inhaber eines der führenden Schweizer Handelshäuser (gest. 1482 in
Lindau), und seine Gemahlin Walpurg Muntprat (seit 1454?) in Betracht. Aus dem Wohn-
orte Möttelis Beziehungen zu der Manufaktur des Behanges gewinnen zu wollen, erübrigt
sich; der Stifter wechselte allzu oft den Sitz seiner Tätigkeit48). B. Kurth folgert aus der Tat-
sache, daß zweiTöchter des Paares, Margarete undAmalia, als Nonnen imSt.-Klara-Kloster
zu Villingen lebten, dem ja der Teppich entstammt, daß die beiden Frauen nicht nur die
Stifterinnen, sondern auch die Wirkerinnen waren49). Da ihr Ableben vor 1491/9250) er-
folgte, ist die Zeit der Entstehung zwischen die Jahre 1454 und 1482 eingespannt. Stilistisch
ist die Möglichkeit durchaus gegeben, daß der Behang in seinem ausgesprochenen Drang
nach Tiefenwirkung, der sich namentlich in der Querstellung der beiden Heiligen geltend
macht, erst zu Ende der achtziger Jahre, vielleicht auch nach dem Ableben Rudolf
Möttelis entstanden ist. Weniger einfach ist die Lösung der Frage, ob die beiden Nonnen
die Erzeugerinnen waren. Von vornherein läßt sich feststellen, daß die technischen Be-
ziehungen der Wirkerei zu den Werkstätten der Schweiz, in Sonderheit zu Basel recht
locker sind. Als einzige Reminiszenz erscheint das geflammte Gras; die Gesichter mit den
Eckpupillen rufen schwache Erinnerungen wach. Technik und Stil stellen durchaus eine
Sondergruppe dar; das Haar der heiligen Frauen z. B. fließt nicht in den ruhigen, über-
einander geschichteten Lagen der Basler Damen; belebt, wie mit einer Feder gezogen,
quirlen die Lagen durcheinander. Die geringe technische Erfahrung der Erzeugerinnen
verraten allzu deutlich die ungeschickte Wiedergabe der allerdings schon im Karton
schlecht gezeichneten Gesichter, die kümmerliche Durchbildung des Kopfhaares des zu-
sammengekauert sitzenden Apostels, das einem Schlangenknäuel gleicht. Für die verhält-
nismäßig späte Entstehung des Behanges zeugt die merkwürdige Behandlung der Falten-
lagen der Gewänder. Unzweideutig ist das Bemühen, die Schraffenmethode der Nieder-
lande nachzuahmen (Mantel der heiligen Genoveva); die tastenden Versuche ergeben selt-
same scheckige Licht- und Schattenwirkungen. Selbst das von dem üblichen Schema ab-
weichende stilisierte Wolkenband muß für die neu entdeckte Kunst der Hachuren her-
halten. Daß flämische Wirkereien als Vorbild dienten, beweist auf den ersten Blick die
eigenartige Dekoration des dunkelblauen Hintergrundes mit blühenden Pflanzenbüscheln.
die wörtlich Tournaiser Vorbildern entnommen sind51); auch die kleinen Bäumchen mit
der Kugelkrone und den lanzettförmigen Blättern finden sich in den Erzeugnissen der alten
Bischofs- und Wirkerstadt. Die Villinger Altertümersammlung besitzt außer dem ober-
rheinischen Himmelfahrtsteppich einen Behang, gleichfalls aus dem St.-Klara-Kloster, der
die Krönung der Madonna, von zwei Heiligen flankiert, wiedergibt und sicherlich der
Tournai-Tourainer Gruppe angehört. Den Hintergrund decken die enggesetzten blühenden
Büschel. Stilistisch und den Trachten nach zu urteilen, ist die Krönung frühestens 1480,
wahrscheinlich aber noch etwas später entstanden. Diente der Behang den Wirkerinnen
als Vorlage, wenigstens soweit der Hintergrund in Frage kommt? Die Möglichkeit ist nicht
von der Hand zu weisen. Die Zeichnung der Blumen in der Marienkrönung weicht zwar
nicht unerheblich ab, andererseits finden sich die Blütengewächse der Himmelfahrt in
genau den gleichen Formen in landschaftlichen und heraldischen Teppichen von Tour-
nai52). Wie dem auch sei, der westliche Einfluß macht sich in besonders drastischer Weise
in dem Villinger Behänge geltend.
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gefüttertem Mantel, in der Hand Hammer und Zange (?) Aufstellung. Zu Füßen der
zweiten Heiligen stehen zwei zu einander geneigte Wappen, die heraldischen Bilder der
oberrheinischen Familie von Muntprat und des Schweizer Geschlechtes Mötteli von Rappen-
stein. Ein Rasenfries streckt sich als Gegenstück zum Wolkenband zu Füßen der drei
Abteilungen. Als Material dienen Wolle, Leinen und Gold (im Nimbus des Erlösers); die
Textur ist mit 6 Kettfäden mittelfein. Als Auftraggeber kommen Rudolf II. Mötteli von
Rappenstein, der Inhaber eines der führenden Schweizer Handelshäuser (gest. 1482 in
Lindau), und seine Gemahlin Walpurg Muntprat (seit 1454?) in Betracht. Aus dem Wohn-
orte Möttelis Beziehungen zu der Manufaktur des Behanges gewinnen zu wollen, erübrigt
sich; der Stifter wechselte allzu oft den Sitz seiner Tätigkeit48). B. Kurth folgert aus der Tat-
sache, daß zweiTöchter des Paares, Margarete undAmalia, als Nonnen imSt.-Klara-Kloster
zu Villingen lebten, dem ja der Teppich entstammt, daß die beiden Frauen nicht nur die
Stifterinnen, sondern auch die Wirkerinnen waren49). Da ihr Ableben vor 1491/9250) er-
folgte, ist die Zeit der Entstehung zwischen die Jahre 1454 und 1482 eingespannt. Stilistisch
ist die Möglichkeit durchaus gegeben, daß der Behang in seinem ausgesprochenen Drang
nach Tiefenwirkung, der sich namentlich in der Querstellung der beiden Heiligen geltend
macht, erst zu Ende der achtziger Jahre, vielleicht auch nach dem Ableben Rudolf
Möttelis entstanden ist. Weniger einfach ist die Lösung der Frage, ob die beiden Nonnen
die Erzeugerinnen waren. Von vornherein läßt sich feststellen, daß die technischen Be-
ziehungen der Wirkerei zu den Werkstätten der Schweiz, in Sonderheit zu Basel recht
locker sind. Als einzige Reminiszenz erscheint das geflammte Gras; die Gesichter mit den
Eckpupillen rufen schwache Erinnerungen wach. Technik und Stil stellen durchaus eine
Sondergruppe dar; das Haar der heiligen Frauen z. B. fließt nicht in den ruhigen, über-
einander geschichteten Lagen der Basler Damen; belebt, wie mit einer Feder gezogen,
quirlen die Lagen durcheinander. Die geringe technische Erfahrung der Erzeugerinnen
verraten allzu deutlich die ungeschickte Wiedergabe der allerdings schon im Karton
schlecht gezeichneten Gesichter, die kümmerliche Durchbildung des Kopfhaares des zu-
sammengekauert sitzenden Apostels, das einem Schlangenknäuel gleicht. Für die verhält-
nismäßig späte Entstehung des Behanges zeugt die merkwürdige Behandlung der Falten-
lagen der Gewänder. Unzweideutig ist das Bemühen, die Schraffenmethode der Nieder-
lande nachzuahmen (Mantel der heiligen Genoveva); die tastenden Versuche ergeben selt-
same scheckige Licht- und Schattenwirkungen. Selbst das von dem üblichen Schema ab-
weichende stilisierte Wolkenband muß für die neu entdeckte Kunst der Hachuren her-
halten. Daß flämische Wirkereien als Vorbild dienten, beweist auf den ersten Blick die
eigenartige Dekoration des dunkelblauen Hintergrundes mit blühenden Pflanzenbüscheln.
die wörtlich Tournaiser Vorbildern entnommen sind51); auch die kleinen Bäumchen mit
der Kugelkrone und den lanzettförmigen Blättern finden sich in den Erzeugnissen der alten
Bischofs- und Wirkerstadt. Die Villinger Altertümersammlung besitzt außer dem ober-
rheinischen Himmelfahrtsteppich einen Behang, gleichfalls aus dem St.-Klara-Kloster, der
die Krönung der Madonna, von zwei Heiligen flankiert, wiedergibt und sicherlich der
Tournai-Tourainer Gruppe angehört. Den Hintergrund decken die enggesetzten blühenden
Büschel. Stilistisch und den Trachten nach zu urteilen, ist die Krönung frühestens 1480,
wahrscheinlich aber noch etwas später entstanden. Diente der Behang den Wirkerinnen
als Vorlage, wenigstens soweit der Hintergrund in Frage kommt? Die Möglichkeit ist nicht
von der Hand zu weisen. Die Zeichnung der Blumen in der Marienkrönung weicht zwar
nicht unerheblich ab, andererseits finden sich die Blütengewächse der Himmelfahrt in
genau den gleichen Formen in landschaftlichen und heraldischen Teppichen von Tour-
nai52). Wie dem auch sei, der westliche Einfluß macht sich in besonders drastischer Weise
in dem Villinger Behänge geltend.
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