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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0246
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Stuttgart (16. Jahrhundert)

Das Ganze ist das Erzeugnis eines routinierten Patronenmalers, der seinem Stoffe gegen-
über schon etwas gleichgültig geworden ist, und dessen Können nicht in vollem Maße der
gestellten Aufgabe gewachsen erscheint. Der Wirkteppich macht auf den ersten Blick ganz
den Eindruck einer Brüsseler Arbeit um 1560. Vorzüglich ist die Behandlung des Beiwerks,
namentlich der Pflanzen, und verschiedener Einzelheiten der Rüstungen. Besondere Beach-
tung verdient die Ausführung der Bordüren, in der Abrechnung „die lusten" genannt, die
den besten Erzeugnissen Brüssels ebenbürtig sind. Der Entwurf stammt, wie schon er-
wähnt, nicht von van Orleys Hand. Jacob de Carmes brachte die Patronen aus den Nieder-
landen, wohl zweifelsohne aus Brüssel mit. Der Wirker scheint einen größeren Vorrat an
Bordüren besessen zu haben, In einer Bemerkung, gelegentlich der Ausführung der Wirk-
teppiche für den großen Saal und die anstoßenden Kammern heißt es: „Was die Lusten
darzu betrifft. Hatt Meister Jacob de Carmes für sich selbsten gehabt, dadurch anderer lust-
ten auch gewürckt worden". Die in Frankenthal gemalten Wappenschilder, rechts das des
Herzogs Christoph, links das seiner Gemahlin Anna Maria von Ansbach, und die Schrift-
tafel sind etwas willkürlich eingefügt und stehen nicht auf der Höhe der sonstigen Ausfüh-
rung. Von besonderer Bedeutung ist die Caritas in der Mitte der unteren Bordüre. In der
Abrechnung wird angegeben: „So sein der Caritas acht, so In die lusten obgemelte gemach,
gemacht sein, Cost Jedes vom mahler zu mahlen 40 kr thut 5 fl 20 kr". Es ist nicht klar, wer
der Entwerfer war, ob ein Brüsseler Maler oder ein Frankenthaler Künstler. Eines dürfte
Richer sein, ursprünglich befand sich die Figur nicht in der Bordüre, vielmehr scheint ein
auf der linken Seite noch vorhandenes Rollwerk ein Blütenbüschel umschlossen zu haben.
Die Wesensähnlichkeit mit den beiden seitlichen Figuren, wohl Glaube und Stärke, ist
unverkennbar. Es scheint, ein Frankenthaler Künstler hat die Figur der Caritas anderen
Bordüren im Besitz des Jacob de Carmes entnommen und als unteres Mittelstück eingefügt.

Die Technik des Tapissiers entspricht völlig den Brüsseler Überlieferungen. Wir finden
die gleiche Behandlung der Früchte, des Blattwerkes, der Einzelheiten der Gewänder, die-
selbe Manier der Darstellung des Fleischtones und des gewellten Haares, das stark an italie-
nische Vorbilder erinnert. Auch die Farbengebung schildert in der Art Brüsseler Tapisserien
um 1560. Besonders reizvoll ist die Ausbildung der kleinen, die Außenkante der Bordüre
umfassenden Leiste.

Der Teppich war zweifelsohne ein Stück der sechs großen Wirkereien „mit der Historia
mit Saul vnnd Dauidt" in der „achten Kammer von der Ritterstube an". Die verblüffende
Ähnlichkeit mit den flämischen Erzeugnissen der Zeit — das gleiche jedoch stark ausein-
andergezogene Motiv hatte de Carmes aus seinem früheren Brüsseler Betrieb, um 1550, an
das Erzhaus Österreich geliefert —18), ist um so beachtenswerter, als zweifelsohne noch
manche von ausgewanderten Flamen geleitete deutsche Manufakturen, ganz in dem Stile
ihrer Heimat und vielfach nach Brüsseler Patronen arbeiteten. Wohl nicht wenige der als
Brüsseler und Oudenaarder Teppiche angesehenen Erzeugnisse dürften deutschen Ursprungs
sein, wenn auch der Nachweis nicht immer in völlig einwandfreier Weise zu führen sein
wird.
 
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