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Fontes rerum Germanicarum, Von Böhmer.
Urkunden, Chroniken, Predigten ein und wetteifert glücklich
mit dem Lateinischen Canzlei- und Gelehrtenstyl; die 1 i t e r a r i s c h e,
bereits unter den Hohenstaufen erschütterte Bevormundung durch den
CI erus weicht mehr und mehr aus den Fugen; der Laienstand fühlt
sich freier wie in den kirchlich-politischen, so in den wissen-
schaftlich-künstlerischen Dingen, ohne den allgemeinen christ-
lichen Verband zu zerreissen. Dafür zeugt schon die wachsende Vollen-
dung der in jedem Hauptgebiet Teutschlands thronenden Kirchenbau-
kunst, der erhabensten, lesbarsten Hieroglyphik des Menschengeistes. —■
Kein bedeutender Quellenschriftsteller ersten Ranges, wie etwa Egin-
hart für Karls des Grossen Zeitalter, spiegelt jenen bewegten und
folgenreichen Wendepunct der Teutschen Geschichte ab, wohl aber
findet er vielfache Aufklärung in den Urkunden, Briefen der handelnden
Hauptpersönlichkeiten und St a at en ve rh äl t ni s s e fz. B. der
städtischen und landschaftlichen Bünde, der fürstlich-adeligen Vereine und
Gesellschaften} und in vielen, von verschiedenen Standpuncten aus beob-
achtenden Chroniken. Letztere hat nun der gelehrte Verfasser des
Frankfurter Urkundenbuchs und der Kaiserregesten in eine
durch Auswahl, kritische Sorgfalt ausgezeichnete Sammlung aufgenommen
und nebst andern Documenten zum Theil als neue, d. h. bisher nur
handschriftlich vorhandene Quellen dem mittelalterlichen und vaterländi-
schen Geschichtsstudium eröffnet. Auch ein volksthümlicher Grund
trieb an, das seit mehr denn dreissig Jahren beurkundete, freilich noch
etwas schlaftrunkene Wiedererwachen der Teutschen als einer Gesammt-
heit, welche Gemeinsamkeit der materiellen und geistigen Angelegenhei-
ten, Verknüpfung* der getrennten Landschaften durch Handel, Literatur und
Politik erstrebt. „Die Nation“, heisst es in der Vorrede Seite 8, „will
sich selbst wiederfinden, also werden auch die Klassiker ihrer Geschichte
willkommen seyn; denn sie sind lebendige und wahrhafte Zeugen, aus
uns erm Gebein und Fleisch entsprossen. — Man hat bei uns die
Klassiker der Griechen und Römer so oft, ja unzählbar oft aufgelegt,
die uns doch viel weniger angehen, von denen ich sagen möchte, was
Hamlet von jenem Schauspieler sagt, der die alte Hecuba so rührend
darstellte: „was hat Hecuba mit ihm oder er mit der Hecuba zu thun?“
Es war in Zeiten, in denen die Nation sich selbst verloren
hatte.“ — Diese rügende Bemerkung kann man nicht wohl billigen;
Fontes rerum Germanicarum, Von Böhmer.
Urkunden, Chroniken, Predigten ein und wetteifert glücklich
mit dem Lateinischen Canzlei- und Gelehrtenstyl; die 1 i t e r a r i s c h e,
bereits unter den Hohenstaufen erschütterte Bevormundung durch den
CI erus weicht mehr und mehr aus den Fugen; der Laienstand fühlt
sich freier wie in den kirchlich-politischen, so in den wissen-
schaftlich-künstlerischen Dingen, ohne den allgemeinen christ-
lichen Verband zu zerreissen. Dafür zeugt schon die wachsende Vollen-
dung der in jedem Hauptgebiet Teutschlands thronenden Kirchenbau-
kunst, der erhabensten, lesbarsten Hieroglyphik des Menschengeistes. —■
Kein bedeutender Quellenschriftsteller ersten Ranges, wie etwa Egin-
hart für Karls des Grossen Zeitalter, spiegelt jenen bewegten und
folgenreichen Wendepunct der Teutschen Geschichte ab, wohl aber
findet er vielfache Aufklärung in den Urkunden, Briefen der handelnden
Hauptpersönlichkeiten und St a at en ve rh äl t ni s s e fz. B. der
städtischen und landschaftlichen Bünde, der fürstlich-adeligen Vereine und
Gesellschaften} und in vielen, von verschiedenen Standpuncten aus beob-
achtenden Chroniken. Letztere hat nun der gelehrte Verfasser des
Frankfurter Urkundenbuchs und der Kaiserregesten in eine
durch Auswahl, kritische Sorgfalt ausgezeichnete Sammlung aufgenommen
und nebst andern Documenten zum Theil als neue, d. h. bisher nur
handschriftlich vorhandene Quellen dem mittelalterlichen und vaterländi-
schen Geschichtsstudium eröffnet. Auch ein volksthümlicher Grund
trieb an, das seit mehr denn dreissig Jahren beurkundete, freilich noch
etwas schlaftrunkene Wiedererwachen der Teutschen als einer Gesammt-
heit, welche Gemeinsamkeit der materiellen und geistigen Angelegenhei-
ten, Verknüpfung* der getrennten Landschaften durch Handel, Literatur und
Politik erstrebt. „Die Nation“, heisst es in der Vorrede Seite 8, „will
sich selbst wiederfinden, also werden auch die Klassiker ihrer Geschichte
willkommen seyn; denn sie sind lebendige und wahrhafte Zeugen, aus
uns erm Gebein und Fleisch entsprossen. — Man hat bei uns die
Klassiker der Griechen und Römer so oft, ja unzählbar oft aufgelegt,
die uns doch viel weniger angehen, von denen ich sagen möchte, was
Hamlet von jenem Schauspieler sagt, der die alte Hecuba so rührend
darstellte: „was hat Hecuba mit ihm oder er mit der Hecuba zu thun?“
Es war in Zeiten, in denen die Nation sich selbst verloren
hatte.“ — Diese rügende Bemerkung kann man nicht wohl billigen;