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Brügger: Geist, Seele, Stoff.
schiedene Wirkungen verschiedene Ursachen voraussetzen. Das
„Leuchten des Blitzstoffes im Gehirne“ als Ursache der Gedanken
(S. 87ff.) ist eine unerwiesene und unerweisbare Annahme, wenn
gleich unter den uns aus ihren Erscheinungen bekannten Stoffen
die Electricität (der Blitzstoff) mit dem Magnetismus die meisten
Analogieen zu einem Seelenstoffe bietet. Dass wir „die Gedanken
und Gefühle mittelst der Feder und Tinte auf Papier fest machen“
(S. 95), beweist noch lange nicht, dass die Gedanken und Gefühle
Stoff sind. Denn die Schrift ist an sich nichts, sie ist nur ein ver-
körperlichtes Zeichen, von dem man weiss, dass es weder Gedanke
noch Gefühl ist, wenn man auch durch das Zeichen zu Gedanken
und Gefühlen veranlasst wird, die übrigens immer wieder in jedem
rach eigenthümlicher Auffassung anders erscheinen. Das Zeichen
an sich hat nur eine Beziehung zum Gedanken desjenigen, der die
Bedeutung desselben kennt (S. 135). Sagt doch der Herr Verf.
selbst (S. 150) ganz richtig: „Die Wirkungen des Geistes und der
Seele nehmen wir wohl mittelst der Sinne wahr, aber ihr feinstes
und eigentliches Wesen können wir nicht mit denselben festhalten
und genauer untersuchen. Daher rühren die Ansichten von einer
ganz andern Beschaffenheit und von einer andern Wesen-
heit des Geistes und der Seele, als die des Leibes“, und S. 130:
„Zwei Dinge werden dem Menschen noch lange ein Räthsel blei-
ben, die Ernährung des Leibes und die Erzeugung der
Gedanken im Gehirn.“ An verschiedenen Stellen des vorlie-
genden Werkes spricht der Herr Verf. seine stoffliche Ansicht als
eine unmassgebliche aus, er spricht von ihrer „Wahrscheinlichkeit“
gegenüber der Unwahrscheinlichkeit der entgegengesetzten. „Darin
aber, sagt er S. 151, besteht der Fortschritt unserer Zeit, dass
wir Anderer Meinungen und Ansichten auch gelten lassen,
und ihre Anhänger nicht verfolgen noch hassen, auch nicht glau-
ben, wir hätten allein das Wahre gefunden. Die Wahrheit der
Menschen wird immer nur bedingt und beziehungsweise sein, nie
unbedingt.“ Gewiss verdient ein auf Wahrheitsliebe, Ueber-
zeugungstreue und Freimuth gegründetes Streben der Wissenschaft
von jedem Unbefangenen auch dann Achtung und Anerkennung,
wenn es zu den von den bisherigen Lehren abweichenden Ansich-
ten führt, und von jenem Geiste allseitiger Duldung geleitet ist, an
dem jedes ehrliche und leidenschaftslose Denken des Forschers er- ,
kannt wird.
v. Reichlin-Meldegg.
Brügger: Geist, Seele, Stoff.
schiedene Wirkungen verschiedene Ursachen voraussetzen. Das
„Leuchten des Blitzstoffes im Gehirne“ als Ursache der Gedanken
(S. 87ff.) ist eine unerwiesene und unerweisbare Annahme, wenn
gleich unter den uns aus ihren Erscheinungen bekannten Stoffen
die Electricität (der Blitzstoff) mit dem Magnetismus die meisten
Analogieen zu einem Seelenstoffe bietet. Dass wir „die Gedanken
und Gefühle mittelst der Feder und Tinte auf Papier fest machen“
(S. 95), beweist noch lange nicht, dass die Gedanken und Gefühle
Stoff sind. Denn die Schrift ist an sich nichts, sie ist nur ein ver-
körperlichtes Zeichen, von dem man weiss, dass es weder Gedanke
noch Gefühl ist, wenn man auch durch das Zeichen zu Gedanken
und Gefühlen veranlasst wird, die übrigens immer wieder in jedem
rach eigenthümlicher Auffassung anders erscheinen. Das Zeichen
an sich hat nur eine Beziehung zum Gedanken desjenigen, der die
Bedeutung desselben kennt (S. 135). Sagt doch der Herr Verf.
selbst (S. 150) ganz richtig: „Die Wirkungen des Geistes und der
Seele nehmen wir wohl mittelst der Sinne wahr, aber ihr feinstes
und eigentliches Wesen können wir nicht mit denselben festhalten
und genauer untersuchen. Daher rühren die Ansichten von einer
ganz andern Beschaffenheit und von einer andern Wesen-
heit des Geistes und der Seele, als die des Leibes“, und S. 130:
„Zwei Dinge werden dem Menschen noch lange ein Räthsel blei-
ben, die Ernährung des Leibes und die Erzeugung der
Gedanken im Gehirn.“ An verschiedenen Stellen des vorlie-
genden Werkes spricht der Herr Verf. seine stoffliche Ansicht als
eine unmassgebliche aus, er spricht von ihrer „Wahrscheinlichkeit“
gegenüber der Unwahrscheinlichkeit der entgegengesetzten. „Darin
aber, sagt er S. 151, besteht der Fortschritt unserer Zeit, dass
wir Anderer Meinungen und Ansichten auch gelten lassen,
und ihre Anhänger nicht verfolgen noch hassen, auch nicht glau-
ben, wir hätten allein das Wahre gefunden. Die Wahrheit der
Menschen wird immer nur bedingt und beziehungsweise sein, nie
unbedingt.“ Gewiss verdient ein auf Wahrheitsliebe, Ueber-
zeugungstreue und Freimuth gegründetes Streben der Wissenschaft
von jedem Unbefangenen auch dann Achtung und Anerkennung,
wenn es zu den von den bisherigen Lehren abweichenden Ansich-
ten führt, und von jenem Geiste allseitiger Duldung geleitet ist, an
dem jedes ehrliche und leidenschaftslose Denken des Forschers er- ,
kannt wird.
v. Reichlin-Meldegg.