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Kirchmann: Die Philosophie des Wissens.

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Schmerz äussern, und hängt dann mit den plastischen oder vege-
tativen Nerven, die im Sonnengeflecht concentriren, zusammen.
Diese hat der Herr Verf. vom reinen und thätigen Fühlen getrennt,
während dieses Fühlen doch immer bei jedem Fühlen mehr oder
minder sich äussert und ohne dasselbe gar kein anderes Fühlen ge-
dacht werden kann. Man hat solches auch den innern Sinn oder
Lebenssinn (sensus internus, sensus vitalis) genannt, weil er sich
nicht auf äussere Gegenstände, sondern auf innere Zustände des
eigenen Lebens bezieht. Es ist also nicht abzusehen, warum aus
einem Sinne zwei, also sechs Sinne geschaffen werden sollen und
dabei der von Kant angenommene innere oder Lebenssinn negirt
wird (S. 28 u. 29), da doch dieser eben so gut eine von den andern
äussern Sinnen verschiedene innere Beziehung enthält, als der von
dem Herrn Verf. in zwei Sinne gespaltene Fühlsinn.
Von der Sinnenwahrnehmung wird die Selbstwahrnehmung
unterschieden, deren Gegenstand als Ganzes mit dem Worte „Seele
oder Geist“ bezeichnet wird. Darauf kommt der Mensch jedoch
nicht durch die „Selbstwahrnehmung“ allein, sondern durch die
damit verbundene Reflexion, welche von der Selbstwahrnehmung
innerer Zustände auf das denselben zu Grunde Liegende schliesst.
Die „geistigen Zustände“ sind Gegenstand der Selbstwahrnehmung.
Als diese werden „das Wissen, Fühlen und Begehren“ bezeichnet
(S. 36). Das Wissen „als Wissen“ „macht, sich nur zum Spiegel
eines fremden Seins.“ So wie der Spiegel „um so vollkommener
ist, je mehr er nicht sich selbst sehen lässt, sondern nur fremdes
Sein abspiegelt, so auch das Wissen.“ Das Wissen ist „das reine
Spiegeln eines fremden Seins, ohne Beimischung des eigenen seien-
den Zustandes“ (S. 37). Offenbar aber verhält es sich nicht so.
Das Spiegeln ist ein blos leidender Zustand, der wieder gibt, was
er erhält. Das ist die Locke’sche Ansicht von den einfachen Ideen,
aus denen dann erst durch Zusammensetzung die complexen als
Modi, Substanzen und Verhältnisse hervorgehen. Das Wissen ist
Thätigkeit, und zwar unterscheidende Thätigkeit. Es ist ein Act
dessen, der das Object vom Subject trennt oder unterscheidet. Man
weiss nicht nur das fremde, sondern auch das eigene Sein. Die
äussere Welt und das Selbst sind ein Gegenstand des Wissens;
daher Welt und Selbstbewusstsein. Das Wissen ist ein lebendiger
und kein todter Spiegel, der nicht nur reflectirt, sondern auch
weiss, dass er reflectirt und sich als reflectirend erkennt, ja der
selbst der Aussenwelt gegenüber nicht beim Spiegeln stehen bleibt,
sondern durch eigene Thätigkeit die empfangenen Eindrücke ver-
arbeitet und durch Vergleichen, Trennen und Verbinden erst in das
Wesen dieser Eindrücke dringt und dadurch zum Wissen gelangt.
Das Fühlen und Begehren sollen „nur seiende Zustände der Seele“
sein. Ist nicht auch im Wissen „der eigene seiende Zustand?“
Kann man diesen vom Wissen trennen und nur dem Fühlen und
Begehren zuschreiben? Lust und Schmerz sind ja, wie das Wissen,
 
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