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Braun: Naturgeschichte der Sage.

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auf dem Wege der Entwicklung lässt sich strenger constatiren als
im Gebiet der religiösen Vorstellungen. Auch bemerkt Hr. Braun
selbst S. 209 „Namensvergleichung ist unnütz und gefährlich
(irreführend?), wenn nicht aus den thatsächlichen Merkmalen die
ursprüngliche Einheit zwTeier Figuren zuvor hergestellt ist.“ Aber
auch die „thatsächliche Einheit“ beruht oft auf ziemlich allgemeinen
Zügen, w7ie sie zum Theil an historischen Erscheinungen wieder-
kehren, und wenn ein auf solche Weise gefundenes Ergebniss so-
fort wieder als Grundlage zu weiteren Combinationen verwendet
wird, so verliert auch die scheinbarste Analogie immermehr an Be-
weiskraft. Uebrigens macht der Verf. von Namensvergleichung und
selbst von Namensvertauschung und Verschiebung einen ausgedeh-
ten Gebrauch und zwar in ganz kategorisoher Sprache.
Diese formellen Bedenken in Betreff der Sicherheit der bei dem
vorliegenden Gegenstand allein anwendbaren Methode wollten wir
vorausgehen lassen, weil sie die Ausführung der Hypothese be-
treffen und von den Einwürfen gegen das Princip, mit denen der
Verf. in der Vorrede sich beschäftigt, völlig unabhängig sind. Dabei
können wir nicht verschweigen, dass auch uns es schwer fällt an-
zunehmen, die Mythenproduktion aller Völker der Erde habe nur
nach der ägyptischen Schablone gearbeitet und von dem ägypti-
schen Grundstock gezehrt, ein von dem Laufe der Völkerwande-
rungen und der Weltereignisse doch ziemlich entfernt gebliebenes
Volk habe also durch die Einimpfung seiner Ideen, auch ohne Ver-
mittlung irgend einer Bluts- und Sprachverwandtschaft, der Phan-
tasie jeder andern Nation die ausschliessliche Richtung gegeben,
durch welche selbst die bereits vorhandenen einheimischen Vor-
stellungskreise verdrängt worden wären, etwa wie z. B. am Rheine
die wilde Rebe durch Anpflanzung der cultivirten. Räthselhaft
bleibt dieser prädominirende und fast omnipotente Einfluss bei der
isolirten Stellung der alten Aegyptier immer, auch wenn man die
Thatsache der durchgängigen Nachwirkungen bis nach Island und
nach Mexiko zugibt. Wir reden nicht von einem Armuthszeugniss,
das damit gewissermassen dem Geist der Völker ausgestellt würde;
denn den letzteren Nachtheil könnte man mit dem Verf. durch den
Vorzug der Einheit des religiösen Grundgedankens in der Mensch-
heit weit aufgewogen sehen. Die Identität der religiösen Vor-
stellungen nach der Ansicht des Verf. soll ja keine Uniformität
sein, sofern durch seine Hypothese eine relative Orginalitat der
übrigen Stämme nicht ausgeschlossen wird, vermöge welcher die
ursprünglichen Elemente der religiösen Weltanschauung im Brah-
manism, im Judenthum, im Hellenism, im Germanenthum u. s. w.,
mit Anschluss an nationale Erinnerungen sich immer auf andere
und eigenthümiich selbständige Weise entwickelt haben. Aber die
Beziehungen des ältesten Aegyptens zur übrigen Welt liegen noch
zu sehr im Dunkel, als dass man daraus diese grossartige Wirkung
 
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