Twesten: Schiller im Verhältniss zur Wissenschaft.
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rücksichtigung des Aesthetikers und Historikers. Der Herr Verf.
der vorliegenden Schrift sucht dagegen vorzugsweise das Verhält-
niss Schillers zu Kant in allen seinen wissenschaftlichen Bestre-
bungen zur Anschauung zu bringen und nachzuweisen, wie „die
beiden grossen Dichter (Göthe und Schiller) mit dem tiefsten Denker
ihres Jahrhunderts (Kant) vollständig übereinstimmten in einer Philo-
sophie, mehr und mehr die Wissenschaft und das Leben zu
beherrschen anfängt, obwohl sie eine Zeit lang durch imaginäre
Systeme zurückgedrängt ward, noch jetzt vielfach verkannt und
missverstanden wird.“ Refer. möchte bei aller Verehrung für die
unsterblichen Leistungen des grossen Königsberger Denkers, mit
welchem als Epoche machend die Philosophie der Neuzeit beginnt,
die nachkantischen Systeme, -welche entschieden die Philosophie
weiter förderten und neben den vorzugsweise negativen oder kriti-
schen Resultaten Kants auch bedeutende positive errungen haben,
mit dem gewagten Ausdrucke: „imaginäre Systeme“ keineswegs
abfertigen.
Die Schrift selbst zerfällt nach einem kurzen Vorworte (S. 1 u. 2)
in sechs Abschnitte. Der erste behandelt Anlage und
Bildung (S. 3—19), der zweite die Philosophie (S. 19—
53), der dritte Moral und Politik (S. 53—96), der vierte
Aesthetik (S. 96—128), der fünfte Geschichte (S. 128 —
155), der sechste Wissenschaft und Dichtung (S. 155—
175). Schillers dichterische Anlage, sein Zug zur Wissenschaft
der allgemeinen Bildung, Geschichte und Philosophie, seine mangel-
hafte wissenschaftliche Vorbildung, der Einfluss der Dichter seiner
Zeit, der Wolff’schen Anschauung, der deutschen Aufklärungsperiode
und vornehmlich Rousseaus, der Sturm- und Drangperiode, der in
diese Zeit fallenden politischen Begebenheiten, seine dichterische
Entwicklung, ihr Einfluss auf die Richtung seiner wissenschaft-
lichen Ausbildung werden hervorgehoben. Wenn Schiller in der
Medicin weniger leistete, als man von einem Geiste, wie der seinige
war, erwarten konnte, so ist der Grund wohl in seiner Abneigung
gegen die so genannten positiven oder Brodwissenschaften mehr zu
suchen, als in mangelhafter Vorbildung. Schiller ergriff Alles, was
ihn anzog, mit unermüdetem Fleiss und Eifer. Sein Beruf war die
Poesie und die allgemeine Wissenschaft (Philosophie und Geschichte).
Das Vorzügliche auch an seinen medicinischen Arbeiten trotz ihrer
hinsichtlich der materiellen Kenntnisse sehr mangelhaften Seiten sind
philosophische Blicke. Es ist mehr ein Philosophiren über gelehr-
ten Stoff, als eine Untersuchung oder Förderung dieses Stoffes.
Selbst aus ihnen kann man die eigenthümliche Anlage des Dichters
herauslesen.
Man denkt bei Schillers Philosophie gewöhnlich nur an seine
Leistungen in der Aesthetik, welche theils im Kant’schen Geiste
gehalten sind, theils, über den Kant’schen Standpunkt hinausdringend,
der Aesthetik der nachkantischen Zeit Bahn gebrochen haben. Auch
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rücksichtigung des Aesthetikers und Historikers. Der Herr Verf.
der vorliegenden Schrift sucht dagegen vorzugsweise das Verhält-
niss Schillers zu Kant in allen seinen wissenschaftlichen Bestre-
bungen zur Anschauung zu bringen und nachzuweisen, wie „die
beiden grossen Dichter (Göthe und Schiller) mit dem tiefsten Denker
ihres Jahrhunderts (Kant) vollständig übereinstimmten in einer Philo-
sophie, mehr und mehr die Wissenschaft und das Leben zu
beherrschen anfängt, obwohl sie eine Zeit lang durch imaginäre
Systeme zurückgedrängt ward, noch jetzt vielfach verkannt und
missverstanden wird.“ Refer. möchte bei aller Verehrung für die
unsterblichen Leistungen des grossen Königsberger Denkers, mit
welchem als Epoche machend die Philosophie der Neuzeit beginnt,
die nachkantischen Systeme, -welche entschieden die Philosophie
weiter förderten und neben den vorzugsweise negativen oder kriti-
schen Resultaten Kants auch bedeutende positive errungen haben,
mit dem gewagten Ausdrucke: „imaginäre Systeme“ keineswegs
abfertigen.
Die Schrift selbst zerfällt nach einem kurzen Vorworte (S. 1 u. 2)
in sechs Abschnitte. Der erste behandelt Anlage und
Bildung (S. 3—19), der zweite die Philosophie (S. 19—
53), der dritte Moral und Politik (S. 53—96), der vierte
Aesthetik (S. 96—128), der fünfte Geschichte (S. 128 —
155), der sechste Wissenschaft und Dichtung (S. 155—
175). Schillers dichterische Anlage, sein Zug zur Wissenschaft
der allgemeinen Bildung, Geschichte und Philosophie, seine mangel-
hafte wissenschaftliche Vorbildung, der Einfluss der Dichter seiner
Zeit, der Wolff’schen Anschauung, der deutschen Aufklärungsperiode
und vornehmlich Rousseaus, der Sturm- und Drangperiode, der in
diese Zeit fallenden politischen Begebenheiten, seine dichterische
Entwicklung, ihr Einfluss auf die Richtung seiner wissenschaft-
lichen Ausbildung werden hervorgehoben. Wenn Schiller in der
Medicin weniger leistete, als man von einem Geiste, wie der seinige
war, erwarten konnte, so ist der Grund wohl in seiner Abneigung
gegen die so genannten positiven oder Brodwissenschaften mehr zu
suchen, als in mangelhafter Vorbildung. Schiller ergriff Alles, was
ihn anzog, mit unermüdetem Fleiss und Eifer. Sein Beruf war die
Poesie und die allgemeine Wissenschaft (Philosophie und Geschichte).
Das Vorzügliche auch an seinen medicinischen Arbeiten trotz ihrer
hinsichtlich der materiellen Kenntnisse sehr mangelhaften Seiten sind
philosophische Blicke. Es ist mehr ein Philosophiren über gelehr-
ten Stoff, als eine Untersuchung oder Förderung dieses Stoffes.
Selbst aus ihnen kann man die eigenthümliche Anlage des Dichters
herauslesen.
Man denkt bei Schillers Philosophie gewöhnlich nur an seine
Leistungen in der Aesthetik, welche theils im Kant’schen Geiste
gehalten sind, theils, über den Kant’schen Standpunkt hinausdringend,
der Aesthetik der nachkantischen Zeit Bahn gebrochen haben. Auch