Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Chronik der Universität Heidelberg für das Jahr 1866.

Am 22 November wurde das Fest der Geburt des erlauchten
Restaurators der Universität, des höchstseligen Grossherzogs Karl
Friedrich von der Universität in herkömmlicherWeise gefeiert.
Die Festrede des zeitigen Prorector’s, Kirchenrath Hitzig betraf
die Stellung der studirenden Jugend zur Gegenwart.
Nachdem der Redner bevorwortet hatte, wie er nicht
einen Gegenstand aus seinem Specialfache, der Theologie, abhan-
deln, sondern zu den Studenten überhaupt, zumal jüngern, reden
werde, um ihnen ihre Stellung in der Welt des 19. Jahrhunderts
zu verdeuten: entwickelte er zunächst, dass die bisher durchlau-
fenen Phasen der Geschichte der Menschheit nur Vorstufen der
Jetztzeit seien, die Gegenwart alle frühem Standpunkte enthalte;
dass es nun aber gelte, das Erbe zu verwerthen, und der Ver-
gangenheit mit historischem Sinne gerecht zu werden. Nament-
lich die Theologen wurden darauf hingewiesen, dass das höher ge-
bildete Bewusstsein der Gegenwart nicht gefangen genommen wer-
den dürfe unter die Autorität einer schwachem Denkkraft und
blödem sittlichen Urtheils, wie solche dem Alterthum eigneten.
Der wissenschaftliche Standpunkt der Gegenwart sei realistisch;
über die Zeit, da man mit Formeln ohne Inhalt auszukommen
meinte, seien wir hinaus. Doch sei mit dem Aufnehmen der Einzel-
erscheinungen noch nicht Alles gethan, man müsse zwischen den
Beobachtungen Zusammenhang herstellen, der dann auch das wahre
Wesen der betreffenden Disciplin erkennen lassen werde. Der
Charakter heutiger Wissenschaft wurde sodann durch Hinweis auf
die Medicin unserer Tage, auf die vergleichende Grammatik, die
Geschichte und die Philosophie des Rechtes dargelegt. Nunmehr
unterschied der Sprecher vom allgemeinen Standorte zur Zeit das
aparte Verhältniss, in welchem die studirende Jugend zur Wissen-
schaft stehe. Unter Betonung, dass Wissen Macht sei und dass
man nicht Zuviel lernen könne, wurde ermahnt, das Ziel sich nicht
zu niedrig zu stecken, und auf den Ernst unserer Zeit hingedeutet.
— Das Verhältniss nun ferner zur Wissenschaft schliesse ein sol-
ches zu ihren Trägem ein. In dieser Beziehung warnte der Red-
ner vor frühreifer Athaumastie, vor einem negativen Verhalten
gegen Das, was der Vortrag des Lehrers Einem darbietet; vor
Pennalismus. Nun sei aber auch das Wissen nicht der Güter
Höchstes und nicht Selbstzweck; es habe vielmehr den Geist zu
befruchten, solle in ihm die Idee des Wahren, Guten und Schönen
nähren, die Ueberzeugung von ihrer Realität befestigen, wenn die-
selbe auch nicht immer im Einzelfalle zur Verwirklichung komme.
Die Jugend geniesse das Vorrecht, eine ideale Weltanschauung
zu besitzen; an ihren Idealen solle sie festhalten, um ihr eigenes
Glück zu pflanzen, und die Hoffnungen, so auf sie gesetzt werden,
zu erfüllen.
LIX. Jahrg. 12. Heft.

61
 
Annotationen