Sr. 63. HEIDELBERGER 1363.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Weber: Weltgeschichte. Bd. VII.
(Schluss.)
Freilich ist diese Objectivität nicht der Art, dass sie nach
dem Maasstabe politischer und religiöser Gesinnungslosigkeit den
Grad der Unparteilichkeit misst, sie stellt sich nicht die Aufgabe,
Charaktere, deren Handlungsweise in der Geschichte, dem wahren
Weltgerichte, für alle Zeiten gebrandmarkt ist, mit so genannten
»Ehrenrettungen« berauszuputzen oder gleich dem Zoilothersites das
Grade schief, das Schiefe grad , das Hohe tief, das Tiefe hoch zu
machen. Nirgends zeigt sich der Einfluss einer politischen oder con-
fessionellen Orthodoxie; nicht die Anschauungen und Zwecke der
Gegenwart, nicht eine vorübergehende Zeitströmung entscheidet,
sondern überall wird mit möglichster geistiger Unabhängigkeit die
Auffassung der Völker, ihrer Schicksale, Thaten und ihres geistigen
Lebens erstrebt. Die Weltgeschichte wird hier nicht das, wozu
sie leider viele Geschichtschreiber in alten und neuen Zeiten ge-
macht haben, und wovon man mit Göthe sagen kann;
Mein Freund! Die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist der Herren eig’ner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
In früheren Jahrhunderten beherrschte das deutsche Volk das
geschichtliche Leben und griff überall mächtig in die Schicksale
anderer Völker ein. Seine politischen Thaten waren vorherrschend.
»Jetzt ist ihm, schreibt der Herr Verf. im Jahre 1864, der, wenn
auch unscheinbare, doch immerhin ehrenvolle Beruf zugefallen, das
geschichtliche Leben zu beobachten und die eigenen wie die frem-
den Errungenschaften genau und gewissenhaft im grossen Grund-
buch aufzuzeichnen.« »Keinem Volke, sagt der Herr Verf. von den
Deutschen in der Vorrede zum fünften Bande dieses vorzüglichen
Geschichtswerkes, dürfte ein so unbefangener und vorurtheilsfreier
Sinn, eine so gerechte Anerkennung und Würdigung fremder Natur
und Eigenthümlichkeiten innewohnen, als dem deutschen. Ich bin
daher der Ansicht, dass das deutsche Volk vor allen andern be-
rufen sei, der Weltgeschichte ihre echte Gestalt und Ausbildung
zu geben. Seine Stellung in der Mitte von Europa, sein Streben
LXI. Jahrg. 11. Heft. 53
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Weber: Weltgeschichte. Bd. VII.
(Schluss.)
Freilich ist diese Objectivität nicht der Art, dass sie nach
dem Maasstabe politischer und religiöser Gesinnungslosigkeit den
Grad der Unparteilichkeit misst, sie stellt sich nicht die Aufgabe,
Charaktere, deren Handlungsweise in der Geschichte, dem wahren
Weltgerichte, für alle Zeiten gebrandmarkt ist, mit so genannten
»Ehrenrettungen« berauszuputzen oder gleich dem Zoilothersites das
Grade schief, das Schiefe grad , das Hohe tief, das Tiefe hoch zu
machen. Nirgends zeigt sich der Einfluss einer politischen oder con-
fessionellen Orthodoxie; nicht die Anschauungen und Zwecke der
Gegenwart, nicht eine vorübergehende Zeitströmung entscheidet,
sondern überall wird mit möglichster geistiger Unabhängigkeit die
Auffassung der Völker, ihrer Schicksale, Thaten und ihres geistigen
Lebens erstrebt. Die Weltgeschichte wird hier nicht das, wozu
sie leider viele Geschichtschreiber in alten und neuen Zeiten ge-
macht haben, und wovon man mit Göthe sagen kann;
Mein Freund! Die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist der Herren eig’ner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
In früheren Jahrhunderten beherrschte das deutsche Volk das
geschichtliche Leben und griff überall mächtig in die Schicksale
anderer Völker ein. Seine politischen Thaten waren vorherrschend.
»Jetzt ist ihm, schreibt der Herr Verf. im Jahre 1864, der, wenn
auch unscheinbare, doch immerhin ehrenvolle Beruf zugefallen, das
geschichtliche Leben zu beobachten und die eigenen wie die frem-
den Errungenschaften genau und gewissenhaft im grossen Grund-
buch aufzuzeichnen.« »Keinem Volke, sagt der Herr Verf. von den
Deutschen in der Vorrede zum fünften Bande dieses vorzüglichen
Geschichtswerkes, dürfte ein so unbefangener und vorurtheilsfreier
Sinn, eine so gerechte Anerkennung und Würdigung fremder Natur
und Eigenthümlichkeiten innewohnen, als dem deutschen. Ich bin
daher der Ansicht, dass das deutsche Volk vor allen andern be-
rufen sei, der Weltgeschichte ihre echte Gestalt und Ausbildung
zu geben. Seine Stellung in der Mitte von Europa, sein Streben
LXI. Jahrg. 11. Heft. 53