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Historische Vierteljahrsschrift — 1.1898

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Seeliger, Gerhard: Volksrecht und Königsrecht? [1]: Unteruchungen zur fränkischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.58935#0053
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Volksrecht und Königsrecht?

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als Vertretung der Unterthanen zu gelten. Und doch ward sie
stets als selbständiges Organ des Reichs angesehen. In ihr fand
selbst in den Zeiten der straffsten Anspannung der merovingischen
Königsgewalt der altgermanische Gedanke an die politische Selbst-
bestimmung des Volks eine, obschon kümmerliche, Pflege; in ihr
und durch sie begann dann im 7. Jahrhundert die erstarkte und
vom Königtum emanzipierte Aristokratie den stets wachsenden
Einfluss auf das Regiment des Reichs auszuüben, sie bot im
8. Jahrhundert den von Osten her kommenden, bedeutungsvoll
auflebenden Volks- und Heeresversammlungen äusseren Halt.
Die gesetzgebende Wirksamkeit der Merovinger war im
6. Jahrhundert und zu Beginn des 7. überaus umfassend und
vielseitig. Mag es auch sehr zweifelhaft sein, welche der viel-
fachen Nachrichten über diese Thätigkeit vollen Glauben verdient,
die Thatsache selbst, dass die merovingischen Könige in ihrer
kraftvollen Zeit für Rechtsaufzeichnungen mannigfacher Art
sorgten, muss anerkannt werden. Die Ueberlieferung der Volks-
gesetze, besonders des salischen Volksrechts mit seinen Novellen
und seinen —■ vielfach auch gesetzlichen — Fortbildungen, bezeugt
das. Und nickt bloss das Recht der Salier und Ribuarier, auch
das anderer unterworfener Germanenstämme wurde damals auf-
gezeichnet. Es ist eine wichtige und — wie ich meine — durch-
aus glaubwürdige Aussage des alamannischen Prologs, dass König
Chlothar II. das alamannische Gesetz zuerst erlassen habe.1 In
dieser guten Zeit der fränkischen Macht ward die Gesetzgebung
auch der entfernter wohnenden Stämme gleichsam als Reichssache
angesehen und auf Reichsversammlungen vorgenommen.
Aber dann hebt bald die Periode der Ohnmacht fränkischen
Königtums an. Die germanischen Stämme des Ostens, politisch
wieder selbständiger geworden, begannen jetzt, ganz eigenmächtig
das Bedürfnis nach Gesetzen zu befriedigen: zu Anfang des
8. Jahrhunderts ward das alte unter Chlothar II. aufgezeichnete
Alamannenrecht „renoviert“. Nicht eine fränkische Reichsversamm-
lung, sondern ein alamannischer Stammestag unter Vorsitz des
Herzogs Landfried durfte den entscheidenden Beschluss fassen.
Denn die einst so bedeutende gesetzgebende Wirksamkeit
von König und Reich ruhte seit Dagoberts Tod. Erst den

1 S. oben S. 22 ft'.
 
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