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Historische Vierteljahrsschrift — 1.1898

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Nachrichten und Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.58935#0484
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Nachrichten und Notizen.

Felix Stieve.
Am 10. Juni hat der Tod eine neue Lücke in die ohnehin schon sehr
gelichteten Reihen der deutschen Geschichtsforscher gerissen, und diesmal
holte er sich nicht, dem Gesetze gehorchend, einen streitmüden Veteranen,
den nur Amt und Würde noch an die Berufsgenossen kettete, sondern er
streckte einen der rüstigsten Vorkämpfer nieder, auf den Freund und Feind
als auf einen Führer blickte, der, seiner vollen Kraft und Bedeutung selbst
noch kaum bewusst, eben im Begriffe war, sich den grössten Aufgaben
unserer Wissenschaft zuzuwenden. Nach dreissigjähriger Forscherarbeit,
während welcher er das Leben der Vergangenheit mit dem schärfsten Auge
beobachtete, nachdem er seine Elemente Stück für Stück aus den Kata-
komben der Archive gehoben hatte, wollte er darangehen, es zu schildern,
wie es in seinem Geiste wiedererstanden war, wollte er Gestalten formen,
mit denen sich das allgemeinste Interesse beschäftigt, und die noch von
den Nebeln der Ueberlieferung umspielten Verhältnisse jener Zeiten klar-
legen, in denen die Geschicke der Nationen sich entschieden haben. Die
tragische Wendung seines eigenen Geschickes hat dies verhindert und unser
Volk sowie die Gesamtheit aller Geschichtsfreunde für immer jener Früchte
beraubt, die man von dem reich und mächtig gegliederten Baume Stieve-
schen Wissens und Denkens, Fühlens und Vorstellens erwarten durfte. Für
immer — denn die Erkenntnisse eines Menschen, das Ergebnis fortgesetzter
Geistesthätigkeit, die täglich neue Wege einschlägt, neue Beziehungen
findet, ohne sie festzuhalten, aber doch immer Neues und Wertvolles schafft,
diese Besitztümer des Einzelnen können nur von ihm selbst ausgenützt
werden, sie sind unvererbbar. Kein Freund, kein Schüler, ja nicht die der
entschwundenen vertrauteste Seele vermag mit voller Sicherheit wieder-
zugeben, was sich ihnen im Wechselgespräche geoffenbart hat, was sie
mehr ahnen als ganz begreifen konnten; und wie weit stehen noch Worte
hinter Gedanken zurück, auch wenn sie aus dem beredten Munde eines
Stieve kommen und niemals zu Täuschung und Irreführung verwendet werden!
Trotzdem sein Schaffen nicht jene Höhe und Vollendung erreicht hat,
die seinen Anlagen, seiner Arbeitslust und seiner künstlerischen Veranlagung
ganz entsprochen haben würde, weil ihm versagt war, die letzte Entwick-
lungsstufe zu erleben, sind Stieves Werke, die bis heute veröffentlicht
wurden, doch geeignet, Jedem, der ihnen Ernst und Aufmerksamkeit
widmet, seine Bedeutung für die deutsche Geschichtswissenschaft erkennbar
zu machen. Die umfangreichsten dieser Werke, deren Herstellung eine
unglaubliche Mühe und Ausdauer erfordert hat, gehören zu den Veröffent-
lichungen der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der
Wissenschaften, mit der Stieves Lebenslauf und Arbeitsrichtung in innigster
Beziehung steht. Nachdem er seine historischen Studien 1862 unter Roepell
in Breslau, wo er auch das Gymnasium besuchte, begonnen und bei Ficker
in Innsbruck, Ranke und Droysen in Berlin, Cornelius in München fort-
gesetzt hatte, war er nach der Promotion in Breslau 1867 nach München
zurückgekehrt und durch seinen Lehrer Cornelius, der ihm lange Zeit auch
ein leitender Freund blieb, bestimmt worden, sich an der Herausgabe der
IH. Serie Wittelsbacher Korrespondenzen zu beteiligen. Von da an ist
 
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