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Das Haus mit den Mi Eingängen.
Roman
von
K. Wosentyak-Monin.
xxv.
Herr Hase arbeitete auf seine Weise an der Befreiung
Helmer Wallrodens. Er setzte ein Schriftstück auf, in
welchem er seine langjährigen Erfahrungen, die er als
Bureauchef hinsichtlich des Charakters seines Prinzipals und
in der Erbschaftsangelegenheit speziell gemacht. Er suchte
nachzuweisen, daß Helmer in gar keine Beziehungen zu
jenem Verbrecher während der Zeit der
letzten zwei Wochen getreten sein konnte,
weder schriftlich noch persönlich, weil nach
der Art des Geschäftsganges auf der
Kanzlei dies von ihm, Hase, bemerkt
worden sein müßte: er bestritt ferner,
daß Helmer jemand am 12. Februar
von nachmittags zwei Uhr bis abends
sechs Uhr empfing, weil er im Neben-
zimmer arbeitete, die Thür zum andern
Bureau offen stand und er zum Arbeits-
tisch seines Herrn sehen konnte. Es
waren in diesen Stunden drei Klienten
da, die der Kalkulator namhaft machte.
Der Cesarini befand sich nicht unter
diesen; er kannte den Mann vom Zirkus
her, er hätte ihn sehen und hören müssen;
er erbot sich, das zu beschwören. Der
Bediente wolle gleichfalls unter Eid aus-
sagen, daß die Thür zur Treppe ver-
schlossen gewesen und er im Vorzimmer
sich aufgehalten habe. Geöffnet sei von
ihm nur den drei von Herrn Hase be-
zeichneten Klienten worden.
Der Kalkulator und der Diener wur-
den vorgefordert und sie beschworen ihre
Aussage.
Dann meldete, gerade als Rosa und
Frau Wallroden den Staatsanwalt ver-
lassen, Klas Holtrup sich dort. Er
brachte den langen Bootsmann niit, der
damals Liberio bei seiner Flucht am hart-
näckigsten verfolgt und mit welchem der
alte Seemann sich über den Fall unter-
halten hatte. Der Bootsmann hatte den
unheimlichen Spanier am 12. Februar
Abends aus dem Hause des Advokaten
treten sehen. Beim Zusammenhalten der
Zeit des Eintretens und Herauskommens
aus dem Hause, zwischen welcher kaum
drei Minuten lagen, ergab sich, daß diese
Zeitdauer viel zu kurz für irgend eine
Unterredung sei, da sie völlig vom
Hinauf- und Herabsteigen der Treppen
in Anspruch genommen wurde.
So legte denn der Staatsanwalt all
diese Entlastungsmomente für den Ver-
dächtigten dem Kollegium nur als For-
uialität vor. Die Richter verfügten sofort
die Freilassung Helmers.
Der Staatsanwalt kündigte diese ihm
selbst an.
_„Und wissen Sie, Herr Kollege, wem
Sie dies zu verdanken haben?" schloß

Herr Bankjus seine Mitteilung, „jenem kleinen Fräulein
Rosa Wernike, das mit größtem Eifer und dem Scharfsinn
eines gewiegten Detektivs in der Frau Wallroden eine
Zeugin zu Ihren Gunsten entdeckte und diese zum Geständ-
nis brachte, und das mich schließlich überredete, ihr eine
Untersuchung der Effekten des Spaniers zu gestatten, wobei
sie denn mit ihren Blitzaugen den Zeitungsausschnitt erspähte
und zu Tage förderte. Das ist ein resolutes, kühnes und
tapferes Mädchen, eine echte Hamburgerin, Herr Kollege,
und das war Ihr Schutzgeist, ohne dessen Wirken nnd
Walten es vielleicht recht schlecht mit Ihnen stünde, denn
die Justiz ist manchmal wirklich blind und dumm, worauf
auch die Binde' um die Augen der Gerechtigkeitsgöttin
deutet, wie mir Fräulein Wernike heute dies — da ich ihr
die Nachricht von Ihrer Befreiung brachte — recht unver-

blümt und freundschaftlichst zu wissen gab." So endete der
Staatsanwalt seine inhaltsvolle Botschaft.
„Also frei, wieder ein Bürger wie jeder andere, makel-
los und im Vollbesitz ungetrübter Ehre," sagte sich Helmer,
als er in dem Wagen saß, der ihn seiner Wohnung zu-
führte. „Drei Tage in Haft, wie hat diese kurze Spanne
Zeit mich erschüttert, wie hat sie gerüttelt an den Grund-
festen meiner Seele und auch meines Leibes; ist es mir
doch gerade zu Mut, als hätte ich eine lebensgefährliche,
tödliche Krankheit überstanden und führe jetzt einem neu-
gewonnenen, lichten Dasein entgegen, und hinter mir liegt
alles Schwarze, Traurige, Bittere und Bängliche, das auf
mir gelastet! Drei Tage und zwei, die dem vorangehen,
was haben diese für eine Kluft in mein Leben gerissen; ich
stehe jetzt am jenseitigen Rande und schaue hinüber. Ver-
sunken vor mir ist der wilde Fieber-
traum der Erbschaft und mein Braut-
stand, der mit ihm verwebt scksien; ver-
sunken in mir jedes Gefühl für dieses
Mädchen, das jemals glauben konnte, ich
sei ein Mörder, auch wenn es einen andern
liebte. Sie muß nie nur die geringste
Spur einer Zuneigung zu mir gehabt
haben, sie muß mir fern und frenid ge-
wesen sein im Innern ihres Herzens,
stets und ständig, sonst hätte sie eine so
surchtbare Beschuldigung mir nicht in das
Gesicht schleudern, nicht einen so wahn-
witzigen Haß gegen mich zeigen können
wie in jener schrecklichen Stunde. Das
liegt alles in der Kluft, tief unten, die
mein Leben in zwei Hälften gespalten,
und soll für ewig für mich begraben
sein."
So zog Helmer gewissermaßen das
Facit für diese neue Lebensperiode, die
er jetzt beginnen wollte, und in dieser
dämmerte vor ihm das Bild eines weib-
lichen Wesens auf mit dem Schimmer
der Teilnahme, der Hingebung, der Auf-
opferung, oes mutigen Kämpfens und
Ringens für ihn, für seine Ehre, mild
leuchtend umflossen, das Bild Rosas.
Helmer fuhr in seine Kanzlei. Das
Gerücht seiner Befreiung war ihm schon
vorausgeeilt, und er wurde freudig von
seinen Schreibern empfangen, mit leuch-
tenden Augen und bleich vor Erregung
von Hase.
Helmer ergriff Hases beide Hände,
drückte sie, schaute dem treuen Beamten
in die Augen und sagte nur:
„Erlöst, Freund, guter, braver
Freund, zu einem neuen Leben!" Dann
ging er ins Hinterhaus zu Rosa.
Auch diese wußte schon, daß Helmers
Freilassung erfolgt sei.
Als er jetzt jedoch in das Zimmer
zu ihr trat, konnte sic sich nicht auf-
recht halten; sie sank auf den Stuhl
wieder zurück, von dem sie sich erhoben,
bleich, bebend mit sich verschleiernden
Augen.
„Sie haben für mich gehandelt,"
nahm Helmer jetzt mit vom tiefsten Ge-
fühl bewegtem Ton das Wort, „wie
eine Schwester, nein, mehr als das,
wie ein liebend Weib nur dies thut
für einen geliebten Mann. Was habe


Das Haus mit den zwei Eingängen. Lclmer zog «Ins klein«, ziceki-kc Külilken na siL.
Originalzeichnung von Ewald Thiel. (S. 200.)

Jllustr. W-lt. XXXIV. 13.

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