Jeden Sonntag erscheint
eine Wummer.
MkriilMHWer MiMg. A°- 35.
Stuttgart, WM M Men.
H'rois einer Mnrnnrer
15 Wfennig.
Die Mine von St. Gurlott.
Roman nach dem Englischen
von
W. Wanna.
Siebcnzehntes Kapitel.
Hocherfreut über den unerwarteten Anblick eilte ich
schnellen Laufes auf die beiden Franen zu/ Annita stieß
bei meinem plötzlichen Hinzukommen einen
Schrei der Ueberraschung aus, der auch
Madeline veranlaßte, sich umzusehen. Sie
schien jedoch durchaus nicht überrascht zu
sein, warf mir erst einen flüchtigen Blick zu
und fuhr dann ruhig in der angefangenen Be-
schäftigung fort, mit der Spitze ihres Sonnen-
schirmes etwas in den Sand zu schreiben.
Ich trat auf sie zu und bot ihr meinen
Gruß, sie nickte lächelnd, ohne sich stören zu
lassen. Der Richtung ihrer Augen folgend,
las ich die in den feuchten Sand einge-
kritzelten Worte: „Hugh Trelany, St. Gur-
lott." Das Blut stieg mir heiß in die
Wangen, entwich jedoch sofort wieder, als
ich darunter las: „George Redruth, Esq."
Beide Namen, der des jungen Herrn wie der
meine, waren in großen, kühnen Zügen ge-
schrieben. Daneben standen in kleineren,
flüchtigeren Buchstaben die erst begonnenen
Worte: „Madeline Gr—." Eben beim r
angekommen, schaute sie sich nach mir um,
lachte vergnügt und verwischte dann die
ganze Schrift mit der Spitze ihres kleinen,
elegant chanssirten Fußes.
„Was bringt Sie hieher, Mr. Trelany ?"
sagte sie. „Ich dachte mir, daß Sie in der
Kirche wären."
„Das glaubte ich von Ihnen," erwiderte
ich lächelnd.
„So sind Sie uns nicht gefolgt?"
„Sicherlich nicht, obschon ich, wenn mir
Ihre Absicht bekannt gewesen, es höchst
wahrscheinlich gethan haben würde. Ver-
muten hätte ich allerdings nie können, Sie
an diesem einsamen Platze zu finden, so
weit entfernt von daheim."
„Mein wirkliches Daheim ist weit ent-
fernt, in der That," erwiderte sie und deutete
mit erhobener Hand auf die See hinaus.
„Dort drüben; zuweilen wünsche ich mir,
Schwingen zu haben wie ein Bögelein, um
zurückfliegen zu können."
Ich sah, wie die großen Angcn sich mit
Thränen füllten.
„Haben Sie noch Verwandte drüben
oder liebende Freunde?"
„Weder Verwandte noch Freunde; als
wein teurer Vater starb, ließ er mich ganz
allein zurück. Aber ich habe so lange Zeit
dort gelebt, war immer so glücklich dort.
Und Südamerika ist so schön, so ganz anders
>we Ihr nebeliges England."
Ich betrachtete sie mit inniger Teilnahme.
„Da werden Sie eines Tages wohl
wieder dahin zurückkehren?"
„Vielleicht — ich weiß es selbst noch
nicht," erwiderte sie traurig, sich umwendend
und auf Annita zugehend. Die Dienerin
lachte, ihre weißen Zähne zeigend, freundlich ihr entgegen,
ihr Gesicht erhellte sich noch mehr, als Madeline rasch einige
Worte in ihrer Landessprache mit ihr gewechselt.
„Annita ist ganz meiner Meinung," sagte sie. „Sie
findet das Klima abscheulich und verzehrt sich in Heimweh
nach den Palmen und Tempeln des Westens. Ich werde
sie wohl dahin zurücksenden müssen. Das Volk hier gafft
sie an wie ein wildes Thier, weil sie anderer Farbe ist
und ihren barbarischen Dialekt nicht versteht, sie will durch-
aus nicht in England bleiben."
Ich hatte mir Annitas freudiges Gesicht etwas anders
ausgelegt, war jedoch momentan zu glücklich, mir darüber
den Kopf zu zerbrechen. Nur in ihrer Nähe verweilen,
in das liebe Antlitz schauen, dem Klang ihrer Stimme
lauschen zu dürfen, war ja schon Wonne für mich, denn
nie war sie mir schöner, nie herrlicher vorgekommen. Sie
trug einen kostbaren, enganschließenden Mantel von See-
hundsfell und ein ebensolches Mützchen, der elegante Schirm
schien ihr mehr als Stütze wie als Schutz gegen die Sonnen-
strahlen zu dienen. Die zarte Haut ihrer Wangen war
von der frischen Seebrise leicht gerötet, die
leuchtenden Augen blickten außergewöhnlich
heiter und glücklich.
Für kürze Zeit vergaß ich ganz den Ab-
stand, der uns trennte, ihren Reichtum und
meine Armut, und sprach ohne Zurückhaltung
über dies und das. Die frühere Schüchtern-
heit war ganz gewichen, mein Benehmen
schien gewandter, sicherer geworden zu sein,
denn ich bemerkte, daß Madeline mit er-
höhtem Interesse auf mich blickte, mit wär-
merer Teilnahme mir zuhörte.
„Und Sie," begann sie plötzlich, „wollen
Sie denn für Ihr ganzes Leben in diesem
weltverlorenen Winkel von Cornwallis
bleiben?"
„Wer kann das sagen?" erwiderte ich.
„Ich habe wohl oft schon daran gedacht,
mein Glück über dem Ozean zu suchen, Ge-
wohnheit und Verhältnisse aber fesseln mich
an den einsamen Platz, an die freudlose
Beschäftigung. Oft denke ich auch, es hätte
so kommen müssen und, Miß Graham, sagen
Lie selbst, ist es nicht wunderbar, daß das
Schicksal uns beide gerade hier in so selt-
samer Weise wieder zusammenführte?"
„Für mich war es in der That ein
Glück, daß Sie hieher verschlagen wurden."
„Wieso?"
„Weil ich ohne Sie schwerlich mehr unter
den Lebenden weilte. Sie haben mich vom
sichern Tode errettet."
War es Dankbarkeit oder ein noch inni-
geres Gefühl, das so warm aus ihrem Auge
strahlte und sie nach einem langen Blicke
auf mich errötend das Gesicht abwenden
ließ? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß
mein Herz schneller zu schlagen begann und
ein unendlich süßes Hoffen in meine Seele
einzog. Ich sah nach Annita, sie hatte sich
auf einen der großen am Strande liegenden
Felsblöcke gesetzt und schaute mit halbge-
schlossenen Augen nach der Lonne. Hin-
gerissen von der Erregung des Momentes
erfaßte ich die Hand der Geliebten.
„Miß Graham," sagte ich, „Madeline
— darf ich Sie wieder bei dem mir so lieb-
gewordenen Namen nennen? — Von der
Stunde unseres Abschiedes an, in all den
langen Jahren, die seitdem verflossen, waren
Sie mein einziges Sinnen und Denken, und
als wir uns wiedersahen —"
In diesem leidenschaftlichen Tone wäre
ich wohl fortgefahren, Madeline aber entzog
mir sanft ihre Hand und rief:
„Annita! Komm, cs ist Zeit nach
Hause zu gehen."
Tas Mädchen schien sie verstanden zu
haben, sie sprang eilig auf und nickte land-
Ncngricchische Schönheit. (S. 418.)
Jllustr. W-lt. XXXIV. 18.
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