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WeuMrelMr MMg.


Stuttgart, KipM M Men.

Kreis einer Wurnrner

15 Ufennig.

Die Mine von St. Gurlott.
Roman nach dem Englischen
von
W. Wanna.
Vierzehntes Kapitel.
Es war, als ob meine Kinder-
zeit wieder zurückgekehrt wäre.
Nie hatten seit jenem Tag Ge-
danken mein Herz erfüllt, wie sie
nun in demselben durcheinander
wogten. In der langen Zeit unse-
res Getrenntseins waren jene Er-
innerungen allmälich verblaßt, jetzt
aber, da Madcline durch so wun-
dersame Fügung mir zurückgegeben
worden, stieg die alte Zeit wieder
neu in mir empor: mein Leben,
das seitdem so gleichmäßig und
still verlaufen war, bekam plötzlich
einen reicheren Inhalt.
Ihr Verweilen nur im Hause
hielt jene Nacht allen Schlaf von
mir ferne, rastlos durchmaß ich in
seltsamer Aufregung mein Zimmer
und der Tag war kaum ange-
brochen, als ich auch schon, die
heiße Stirne zu kühlen, hinunter
nach dem Strande eilte.
Welcher Wechsel! Der Wind
hatte sich gelegt, spiegelglatt lag
die See da; das einzige, was noch
an den Sturm erinnerte, waren
die Schiffstrümmer, welche, von
den Wellen hereingespült, am
Strande lagen.
So frühe ich auch war, so
warten doch andere mir schon zu-
vorgekommen, sie schauten eifrig
seewärts und spähten nach Strand-
gut.
- Ich ging erst nach der Mine,
zu sehen, ob alles in Ordnung
sei, und eilte dann nach hastigem
Ueberblick zum Hause zurück in
der vagen Hoffnung, Madeline
vielleicht schon aufgestanden zu
finden. Sie hatte sich noch nicht
erheben. Der Onkel war bereits
zur Arbeit gegangen, die Tante
allein in der Küche, mit ihrem
Haushalt beschäftigt. Ich sah mich
beinahe ängstlich in dem Raume
um. Nein, es war kein Traum
gewesen, da, am Kamine, hing ja
bsr reiche Pelzmantel, den Made-
^ne umgehabt, als ich sie von dem
sinkenden Wrack gerettet.
Ungestüm erkundigte ich mich
stach ihr. „Hast Du sie schon ge-
sehen, Tante?" fragte ich. „Fühlt
ste sich besser? Wie sieht sie aus?"
. Es mußte etwas Auffallendes
>n dem Ton meiner Stimme ge-
tegm haben, denn die Tante sah
mich erstaunt an und sagte:
5illustr. Welt, xxxir. 17.

„Wer ist sie, Hugh? Kennst Du sie wohl gar?"
„Ja," erwiderte ich. „Wir waren vor Jahren zusammen
im .Münsterschen Institut, das sie etwas vor jener Zeit
verließ, da mein Vater starb. Seitdem aber habe ich sie
nicht mehr gesehen."
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre, die schwarze
Dienerin trat herein: erst jetzt sah ich, welch zartes, gut
aussehendes Geschöpfchen sie war. Ich fragte sie, wie es

ihrer Herrin gehe, sie gab jedoch keine Antwort und schaute
nur verlegen nach meiner Tante. Augenscheinlich verstand
sie kein Englisch, ich sah darum, mit dem Kopf nach der
Decke weisend, auf die Tante, die mich gleich verstand und
dann mit dem Mädchen nach oben ging, selbst nach dem
Befinden ihres Gastes zu sehen.
Sie blieb nur wenige Minuten und doch kam mir die
Zeit unendlich lang vor. Als sie wieder hereintrat, lächelte
sie über meine besorgte Miene.
„Brauchst keine Angst zu haben,
Junge," sagte sie, „'s ist alles
in bester Ordnung. Sie hat sich
über Erwarten schnell erholt, will
aber doch heute noch das Bett
hüten, der Müdigkeit, wegen. Ein
seines Dämchen, Hugh, und wohl
auch reich genug, sie hat ja alle
Finger voll Brillantringe."
Madeline verließ jenen Tag
ihr Zimmerchen nicht. Was mich
betrifft, so war ich völlig unfähig,
irgend welche Arbeit zu thun, und
umstreifte das Haus wie ein ruhe-
loser Geist.
Andern Morgens, wir saßen
gerade beim Frühstück, überraschte
sie uns, vollständig angezogen und
auf die Schultern ihrer Dienerin
gelehnt, mit freundlichem Morgen-
gruße in die Küche tretend.
Ihr Kommen erregte allge-
meine Freude, meine Tante lief
ihr sorglich entgegen, während der
Onkel schnell unfern besten Stuhl
zum Kamine rückte: ich hielt mich
im Hintergründe, stumm und vor
innerer Bewegung nicht im stände,
irgend etwas zu thun.
Madeline! War das denn
wirklich Madeline, das kleine Mäd-
chen, von dem ich all die Jahre
geträumt, bereu Hände ich abschied-
nehmend geküßt und mit meinen
Thränen benetzt hatte, jene Madc-
line, die selbst auch zu Thränen
gerührt gewesen, als cs zum Schei-
den ging? War's möglich, daß
es dieselbe war — diese stolze Ge-
stalt mit den träumerischen dunklen
Augen, dem warmen bräunlichen
Teint, dem nachtschwarzen, reichen
Haar? Ihre Formen hatten sich
wunderbar entwickelt, ihre Bewe-
gungen erschienen mir wahrhaft
königlich.
Da ihre ganze Garderobe bei
dem Schiffbruche verloren gegangen
war, trug sie eines der Kleider
meiner Tante, über das sie ihren
Pelzmantel ungezogen hatte. Im-
mer noch körperlich angegriffen,
schwankte sie zu dem für sie bereit-
gestellten Sessel, in den sie sich
müde niederließ, während ihre
Dienerin ihr zu Füßen sank, ihre
Hände mit Küssen bedeckend. Ma-
deline sprach in jener fremden
Sprache einige tröstend klingende
Worte zu ihr, hob dann den Kopf
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Wärz. Zeichnung von H. Giacomelli.
 
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