WmMkiWer IchMg.
Ureis einer Wurnrner
15 Pfennig.
Jeden Sonntag erscheint
eine Wummer.
Die Mine von St. Gurlott.
Roman nach dem Englischen
von
W. Wanna.
Zehntes Kapitel.
Nach diesem Vorgang überwachte
ich Annie noch sorgfältiger und wurde
immer besser gewahr, daß ein geheimer
Kummer sie bedrücke. Sie war unstät
und schien trüben Gedanken nachzu-
sinnen, auch bemerkte ich öfters, wie
ihre Augen sich plötzlich mit Thränen
füllten.
Ihre Mutter wie ihr Vater bemerk-
ten es auch, schrieben aber ihr Beneh-
men ganz anderen Ursachen zu. Sie
waren schlichte, grundehrliche Leute, die
auf einmal nie mehr als eine Sache in
Betracht nehmen konnten und seit Mon-
den von nichts anderem träumten, als
aus uns zwei ein Paar zu machen.
So glaubten sie, Annies niederge-
schlagenes Wesen käme von kleinen
Streitigkeiten her, die etwa zwischen
uns ausgebrochen, und mischten sich
nicht weiter hinein.
Was mich betrifft, so hatte ich
wahrhaftig nicht das Herz, sie eines
andern zu belehren, ich nahm mir jedoch
vor, bei erster Gelegenheit noch einmal
recht ernstlich mit Annie zu reden und
zu fragen, wie sie mit George Redruth
stünde.
Da, eines Nachmittags, ich stand
gerade, über Geschäftliches nachsinnend,
am Eingang des Hauptschachtes, sah
ich plötzlich Tante Martha auf mich
zukommen. Sie sah bleich aus und
schien ängstlich und erregt.
„Hugh," sagte sie, ohne mir Zeit
zu einer Frage zu lassen, „wo ist
Annie?"
Ich schüttelte erstaunt den Kopf.
»Ich weiß es nicht," antwortete ich.
Ihr Gesicht wurde noch bleicher, ihre
Aufregung stieg.
„Aber Du hast sie doch gesehen
heute?" fuhr sie fort.
„Nein, wie ich heute morgen von
Hause wegging, schlieft ihr noch alle."
Auf dies brach meine Tante bei-
nahe zusammen und stöhnte unter hefti-
gem Schluchzen: „O Hugh, sie ist
fort, fort!"
. Ich war fassungslos. Alles, was
ich in dem Augenblick zu thun wußte,
war, meiner Tante, die in Thränen
Zerfloß, einigen Trost zuzusprechen. Als
ne sich wieder etwas beruhigt hatte,
,i ich sie, mir die näheren Umstände
nutzuteilen, und sie that es. Die Sache
sag klar genug. Nachdem ich und später
°sr Onkel zur Arbeit gegangen, war die
^-ante aufgestanden, in der Meinung,
das Küchenfeuer wie gewöhnlich ange-
Jllustr. Welt. XXXIV. IS.
zündet und Annie mit Aufräumen beschäftigt zu finden. Zu
ihrem Erstaunen war niemand in der Küche, kein Feuer
brannte auf dem Herde und alles stand noch da wie am
Abend vorher. Sie hatte nach Annie gerufen, aber keine
Antwort erhalten, das Haus von unten nach oben durch-
sucht — Annie war nirgends zu finden gewesen; endlich,
in der Voraussetzung, das Mädchen möchte irgend eines
Bedarfes wegen nach dem Dorfe gegangen sein, hatte sie
sich selbst daran gemacht, die Hausarbeit zu thun. Stunde
um Stunde war verronnen, ohne eine Spur von Annie zu
bringen, die Aufregung der Tante aufs höchste gestiegen.
Vergebens war sie ums ganze Häuschen, hinaus aufs kleine
Ackerfeld gelaufen, das Kind war nirgends, nirgends zu
finden. Dann war sie selbst in das Dorf geeilt, hatte die
nächsten Nachbarn, die Bekannten gefragt, keiner hatte Aus-
kunft zu geben gewußt, keiner Annie gesehen.
Nun, in ernstliche Besorgnis ver-
setzt, war sie nach Hause zurückgckehrt
und wieder nach Annies Zimmer geeilt.
Erst dann hatte sie bemerkt, daß Annie
nicht in ihrem Bette geschlafen haben
mußte, obschon dasselbe etwas in Un-
ordnung gebracht worden war.
Nachdem meine Tante so ihren Be-
richt geendet, sah sie mich an, wie in
Erwartung, daß ich im stände wäre,
ihre Befürchtungen als grundlos zer-
streuen zu können. Ich vermochte eS
leider nicht. Alles, was ich thun
konnte, war, ihr äußerstes Stillschwei-
gen über die Sache anzuraten und ihr
Hoffnung zu machen, daß dieselbe nicht
so schlimm sein möge, als es den An-
schein hätte. Das that ich denn auch.
„Es mag ja gar nichts Arges dabei
sein," sagte ich, „darum behalten wir
unsere Befürchtungen am besten für
uns. Sage dem Onkel vorderhand
noch nichts, wenn die letzte Hoffnung
geschwunden, ist's immer noch Zeit
genug."
Nur halb überzeugt schüttelte sie
den Kopf, willigte aber schließlich doch
ein, meinen Rat zu befolgen und wieder
nach Hause zu gehen. Mit meiner
Arbeit war's für den Tag vorbei, ich
war nicht im stände, an irgend etwas
anderes zu denken, als an Annie.
Schwere, ernste Befürchtungen stiegen
in mir auf und doch war es mir nicht
möglich, von meiner Cousine Ungebühr-
liches zu vermuten.
So gegen fünf Uhr kam der Onkel
aus dem Schacht, ich schlug ihm vor,
Feierabend zu machen und zusammen
nach Hause zu gehen; vergnügt nickend
stimmte er bei. Er war in besonders
guter Laune und scherzte auf dem Heim-
wege darüber, meinend, daß ihm sicher
noch was Unangenehmes „zur Strafe"
passiren müsse. Je näher wir dem
Hause kamen, desto banger schlug mein
Herz.
Die Tante war eben daran, den
Thee herzurichten — sie war allein.
„Na, wo ist denn mein klein Mädel?"
fragte der Onkel, als wir uns zu Tische
setzten.
Ich sah der Tante Gesicht blaß
und blässer werden, sie wandte den
Kopf zur Seite und sagte so unbe-
fangen wie möglich:
„Sie ist ausgegangen."
„Kommt sie nicht zum Thee?"
„Nein!"
Diese Antwort beugte vorderhand
weiteren Fragen vor und das Mahl
61
Eine Patrizierin Nürnbergs. (S. 363.)
Nach einer Photographie von I. Löwy, k. k. Hofphotograph in Wien (Hugo Grosser in Leipzig).
Ureis einer Wurnrner
15 Pfennig.
Jeden Sonntag erscheint
eine Wummer.
Die Mine von St. Gurlott.
Roman nach dem Englischen
von
W. Wanna.
Zehntes Kapitel.
Nach diesem Vorgang überwachte
ich Annie noch sorgfältiger und wurde
immer besser gewahr, daß ein geheimer
Kummer sie bedrücke. Sie war unstät
und schien trüben Gedanken nachzu-
sinnen, auch bemerkte ich öfters, wie
ihre Augen sich plötzlich mit Thränen
füllten.
Ihre Mutter wie ihr Vater bemerk-
ten es auch, schrieben aber ihr Beneh-
men ganz anderen Ursachen zu. Sie
waren schlichte, grundehrliche Leute, die
auf einmal nie mehr als eine Sache in
Betracht nehmen konnten und seit Mon-
den von nichts anderem träumten, als
aus uns zwei ein Paar zu machen.
So glaubten sie, Annies niederge-
schlagenes Wesen käme von kleinen
Streitigkeiten her, die etwa zwischen
uns ausgebrochen, und mischten sich
nicht weiter hinein.
Was mich betrifft, so hatte ich
wahrhaftig nicht das Herz, sie eines
andern zu belehren, ich nahm mir jedoch
vor, bei erster Gelegenheit noch einmal
recht ernstlich mit Annie zu reden und
zu fragen, wie sie mit George Redruth
stünde.
Da, eines Nachmittags, ich stand
gerade, über Geschäftliches nachsinnend,
am Eingang des Hauptschachtes, sah
ich plötzlich Tante Martha auf mich
zukommen. Sie sah bleich aus und
schien ängstlich und erregt.
„Hugh," sagte sie, ohne mir Zeit
zu einer Frage zu lassen, „wo ist
Annie?"
Ich schüttelte erstaunt den Kopf.
»Ich weiß es nicht," antwortete ich.
Ihr Gesicht wurde noch bleicher, ihre
Aufregung stieg.
„Aber Du hast sie doch gesehen
heute?" fuhr sie fort.
„Nein, wie ich heute morgen von
Hause wegging, schlieft ihr noch alle."
Auf dies brach meine Tante bei-
nahe zusammen und stöhnte unter hefti-
gem Schluchzen: „O Hugh, sie ist
fort, fort!"
. Ich war fassungslos. Alles, was
ich in dem Augenblick zu thun wußte,
war, meiner Tante, die in Thränen
Zerfloß, einigen Trost zuzusprechen. Als
ne sich wieder etwas beruhigt hatte,
,i ich sie, mir die näheren Umstände
nutzuteilen, und sie that es. Die Sache
sag klar genug. Nachdem ich und später
°sr Onkel zur Arbeit gegangen, war die
^-ante aufgestanden, in der Meinung,
das Küchenfeuer wie gewöhnlich ange-
Jllustr. Welt. XXXIV. IS.
zündet und Annie mit Aufräumen beschäftigt zu finden. Zu
ihrem Erstaunen war niemand in der Küche, kein Feuer
brannte auf dem Herde und alles stand noch da wie am
Abend vorher. Sie hatte nach Annie gerufen, aber keine
Antwort erhalten, das Haus von unten nach oben durch-
sucht — Annie war nirgends zu finden gewesen; endlich,
in der Voraussetzung, das Mädchen möchte irgend eines
Bedarfes wegen nach dem Dorfe gegangen sein, hatte sie
sich selbst daran gemacht, die Hausarbeit zu thun. Stunde
um Stunde war verronnen, ohne eine Spur von Annie zu
bringen, die Aufregung der Tante aufs höchste gestiegen.
Vergebens war sie ums ganze Häuschen, hinaus aufs kleine
Ackerfeld gelaufen, das Kind war nirgends, nirgends zu
finden. Dann war sie selbst in das Dorf geeilt, hatte die
nächsten Nachbarn, die Bekannten gefragt, keiner hatte Aus-
kunft zu geben gewußt, keiner Annie gesehen.
Nun, in ernstliche Besorgnis ver-
setzt, war sie nach Hause zurückgckehrt
und wieder nach Annies Zimmer geeilt.
Erst dann hatte sie bemerkt, daß Annie
nicht in ihrem Bette geschlafen haben
mußte, obschon dasselbe etwas in Un-
ordnung gebracht worden war.
Nachdem meine Tante so ihren Be-
richt geendet, sah sie mich an, wie in
Erwartung, daß ich im stände wäre,
ihre Befürchtungen als grundlos zer-
streuen zu können. Ich vermochte eS
leider nicht. Alles, was ich thun
konnte, war, ihr äußerstes Stillschwei-
gen über die Sache anzuraten und ihr
Hoffnung zu machen, daß dieselbe nicht
so schlimm sein möge, als es den An-
schein hätte. Das that ich denn auch.
„Es mag ja gar nichts Arges dabei
sein," sagte ich, „darum behalten wir
unsere Befürchtungen am besten für
uns. Sage dem Onkel vorderhand
noch nichts, wenn die letzte Hoffnung
geschwunden, ist's immer noch Zeit
genug."
Nur halb überzeugt schüttelte sie
den Kopf, willigte aber schließlich doch
ein, meinen Rat zu befolgen und wieder
nach Hause zu gehen. Mit meiner
Arbeit war's für den Tag vorbei, ich
war nicht im stände, an irgend etwas
anderes zu denken, als an Annie.
Schwere, ernste Befürchtungen stiegen
in mir auf und doch war es mir nicht
möglich, von meiner Cousine Ungebühr-
liches zu vermuten.
So gegen fünf Uhr kam der Onkel
aus dem Schacht, ich schlug ihm vor,
Feierabend zu machen und zusammen
nach Hause zu gehen; vergnügt nickend
stimmte er bei. Er war in besonders
guter Laune und scherzte auf dem Heim-
wege darüber, meinend, daß ihm sicher
noch was Unangenehmes „zur Strafe"
passiren müsse. Je näher wir dem
Hause kamen, desto banger schlug mein
Herz.
Die Tante war eben daran, den
Thee herzurichten — sie war allein.
„Na, wo ist denn mein klein Mädel?"
fragte der Onkel, als wir uns zu Tische
setzten.
Ich sah der Tante Gesicht blaß
und blässer werden, sie wandte den
Kopf zur Seite und sagte so unbe-
fangen wie möglich:
„Sie ist ausgegangen."
„Kommt sie nicht zum Thee?"
„Nein!"
Diese Antwort beugte vorderhand
weiteren Fragen vor und das Mahl
61
Eine Patrizierin Nürnbergs. (S. 363.)
Nach einer Photographie von I. Löwy, k. k. Hofphotograph in Wien (Hugo Grosser in Leipzig).