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WMMrHWer JatMU.

Vorstadtwirtshaus von Neapel. (S. 403.)


Jeden Sonntag erscheint
eine Wummer.

Ureis einer Wummer
15 Pfennig.

doch, cs nagt und frißt an seinem Herzen, es bringt ihn
ins Grab. Ich hab' ihn vorhin wieder beobachtet und
weiß auch, was ihm durch den Sinn gegangen."
„Was war's wohl, Tante?"
„Als er Dich so sonntäglich geputzt und jugendfroh
heruntcrkominen sah, da
anders wäre, jetzt auch

„Aengstige Dich nicht allzu sehr, Tante," sagte ich tröstend,
„ich bin überzeugt, daß alles noch einen besseren Ausgang
nimmt, als ihr beide glaubt, denke nur an Annies Brief."
„Mir ist's jetzt nicht um Annie, mir ist's um den armen
Vater," gab sie zur Antwort. „Sieh ihn doch an, wie
der Mann aussieht, und was das Traurigste ist, er mag
nicht einmal mit mir darüber sprechen. Aber ich weiß cs

Die Mine von St. Gurlott.
Roman nach dem E n g l i s ck> c n
von

dacht' er an Annie, die, wenn's
dabei gestanden wäre, frisch und
blank, zur Kirche gerüstet, und
dann klangen die Glocken da-
zwischen und da dacht' er wohl
an euch beide miteinander und
daun — schlugen ihm die Ge-
danken überm Kopf zusammen.
— O du armer, armer Vater!
— Sieh, Hugh, er hat Tag
und Nacht davon geträumt, Du
weißt's kaum, wie lieb ihr ihm
beide seid und was er alles
nun begraben hat — aber Dir
zürnt er nicht und ich nicht, D u
trägst keine Schuld daran."
„Taute," sagte ich, „schau,
ich gäb' wahrhaftig meinen einen
Arm darum, könnt' ich euch
damit den alten Frieden wieder
schaffen. Und doch, selbst wenn's
so wäre — Annie liebte mich
nicht und ich —"
Ich stockte, wußte ich doch
gut, daß auch mein Gefühl für
sie nicht Liebe gewesen.
„Gott wird sie strafen!"
rief die Tante hocherregt. „Ich
kann es ihr nie vergessen! Wäre
sie zu Hause geblieben, ein
braves, folgsames Kind, es
hätte doch noch mögen zu gutem
Ende kommen. Aber so fort-
gehen, ohne nur ein Wort zu
sagen — Gott wird sie finden,
sei sie, wo sie wolle!"
„Nicht so, Tante, nicht so!"
beschwichtigte ich. „Geh nicht
zu hart mit ihr ins Gericht.
Sie kommt sicherlich bald wie-
der, und daun wird sich alles
aufklären."
Die Tante weinte still vor
sich hin.
„O Hugh, mein Junge,
glaubst Du wirklich, daß sie je
wiedcrkommen wird?"
„Gewiß. Es war wohl
eine tolle Mädchenlauue nur,
der Wunsch nach Wechsel. Das
wird vorübcrgehen, sie wird des
Lebens draußen müde werden
und wieder Heimkommen, euch
das alte liebende Kind zu sein."
„Gott geb's, Gott geb's!
O Hugh, sag das dem Vater,
versuche ihn wieder aufzurich-
ten."
Ich nickte zustimmend und
küßte die arme Tante auf die
thränenfeuchte Wange. Immer
noch tönten die Sabbathglocken
ernst und milde herüber, trau-
lich schien die Sonne durchs
67

Sechzehntes Kapitel.
Der darauffolgende Tag
war ein Sonntag. Ich stand
frühe auf und schlüpfte in mein
Feiertagsgewand, einen Anzug
von dunklem Tuche. Daß ich
mehr Sorgfalt auf meine Toi-
lette verwendet haben mußte
wie gewöhnlich, war aus den
Blicken meiner Tante zu ent-
nehmen, die mich, als ich zum
Frühstück herunterkam, von
Kopf bis zu Fuß verwundert
betrachtete. Dann seufzte sie
tief auf und sah mit trübem
Nicken zu meinem Onkel hin-
über, der, ebenfalls sonntäglich
gekleidet, an seinem gewohnten
Platz am Kamine saß.
Mit ihm war seit Annies
Verschwinden eine auffallende
Veränderung vorgegangen. Sein
Gesicht war um Jahre gealtert,
das alte freundliche Lächeln war
von seinem Munde verschwun-
den, die einst so heiter blicken-
den Augen starrten die meiste
Zeit trübe sinnend hinaus ins
Leere. In ihrer wachsenden
Angst um ihn gönnte meine
Tante deni eigenen Schmerz
nicht Raum, sie umgab den
gramgebeugten Mann mit zärt-
lichster Aufmerksamkeit und
wachte über ihn mit treuester
Sorge; kein Wort verriet je den
nagenden Kummer ihres ver-
einsamten Mutterherzens.
Wir frühstückten jenen Sonn-
tag später als gewöhnlich, schon
läutete es ini Dorf zur Kirche,
feierlich ernst hallte der Glocken-
ton über das Moor. Mein
Onkel hob den Kopf und lauschte
dem Klauge, schob dann, wie
von einem plötzlich in ihm auf-
gestiegenen Gedanken erfaßt,
seinen Stuhl zurück, griff nach
seinem Hute und schritt, ohne
ein Wort zu sagen, zur Thüre
hinaus.
„Geh ihm nach, Hugh!"
schrie meine Tante. „Oder
nein," setzte sie schnell hinzu,
„bleib lieber! Es ist vielleicht
vaster, wir lassen ihn allein.
Hugh, Hugh, der Gram um
sein Kind wird den Mann unter
den Boden bringen!" Wie sie
so sprach, rollten heiße Thränen
über ihre Wangen, ihre Stimme
klang wie gebrochen.
Jllustr. Welt. XXXIV. 17.
 
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