296
Illustri rte Welt.
„Laß es in Ruhe," flüsterte Rudolf, „die War-
nungen Huldas haben Eindruck gemacht, verdirb nur
nichts mit Deinem Drohen und Schelten, Du er-
reichst dadurch nur das Gegenteil."
Die Brüder setzten sich an den Tisch, Helene
bediente sie schweigsam, mit mürrischer Miene.
Karl Ganter konnte es doch nicht unterlassen,
reiben mußte er sich an der Schwester, es war für
ihn ein Lebensbedürfnis.
„Der Herr Lieutenant wird nun auch graue
Haare bekommen," sagte er sarkastisch, „heute geht
der Tanz los, die Geduld seiner Manichäer ist zu
Ende."
„Und was hast Du davon?" fragte Helene ent-
rüstet.
„Wenn ich nur so viel davon habe, daß er Dich
in Ruhe läßt, so genügt mir das," erwiderte er.
„DaS wäre auch ohne Deine gehässige Hetzerei
geschehen!"
„Wirklich?" sagte er mit einem lauernden Blick.
„Das glaube ich nicht."
„Wenn ich nichts mehr von ihm wissen will,
dann muß die Geschichte wohl ein Ende haben," ent-
gegnete sie trotzig.
Karl Ganter hatte seine Suppe ausgelöfselt, er
legte den Löffel hin und sah seine Schwester über-
rascht an.
„Du?" fragte er zweifelnd. „Du hast mit ihm
gebrochen? Wenn das wahr ist, dann lasse ich mich
hängen!"
„So such' Dir getrost den Strick aus, an dem
Du hängen willst," erwiderte sie spöttisch, indem sie
sich erhob, um die übrigen Speisen zu holen.
„Hat sie mit Dir vorhin schon darüber ge-
sprochen?" wandte Karl sich zu seinem Bruder. „Da
muß etwas vorgefallen sein, ich kann nicht glauben,
daß sie aus eigenem Antrieb den Bruch herbeigeführt
haben soll."
„Ich weiß es nicht," antwortete Rudolf achselzuckend,
„sie fragte mich nur, ob ich wisse, daß Du geheimer Polizei-
spion seist!"
„Ah, da liegt der Hase im Pfeffer! Was hast Du ihr
geantwortet?"
Viktor Nehlcr. (S. 298.)
„Dasselbe, was Du mir geantwortet hast, als ich Dir
Vorwürfe machen wollte."
„Gut," nickte Karl, der die zurückkehrende Schwester
mit einem spöttischen Lächeln empfing. „Der Herr Lieu-
tenant wird wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß er
mit einer Dame nicht verkehren darf, deren Bruder
Polizeispion ist! Uebrigens hätte er längst so gescheit
sein können, denn er kannte meine Stellung schon
vor Monaten."
Helene schwieg, sie zuckte nur mit den Achseln,
als ob sie sagen wolle, sie halte es nicht der Mühe
wert, mit ihni darüber zu streiten.
„Das mag Dir beweisen, wie unlauter seine
Absichten und Gesinnungen waren," nahm er nach
einer Pause wieder das Wort und seine Stimme
klang jetzt freundlicher und herzlicher; „daß er an
eine Heirat mit Dir nicht denken durfte, wußte er
von Anfang an, dennoch würde er seine Verfolgungen
fortgesetzt und Dich um Deinen guten Ruf gebracht
haben, hätten meine Drohungen ihn nicht einge-
schüchtert. Und die Versicherung gebe ich Dir, hätte
ich ihn noch einmal hier gefunden, so wäre er die
Treppe hinuntergeflogen. Was ich thun kann, um
Dir eine glückliche Zukunft zu sichern, das soll gerne
geschehen, aber daß Du aus diesem Wege das nicht
erreichen kannst, das müßtest Du doch einsehen.
Hochmut kommt immer vor dem Fall, Helene, ich
könnte Dir manche Geschichte erzählen, wo Hochmut
zum Verbrechen geführt hat. Daß ich Beamter der
geheimen Polizei bin, rechne ich mir nicht zur Un-
ehre an, mögen hochnäsige Leute auch anders dar-
über denken, wir sind nötig und unsere Thätigkeit
gereicht den Ehrlichen nur zum Segen. Und gerade
in dieser Stellung habe ich fast täglich Gelegenheit,
einen Blick hinter die Coulissen zu werfen; was ich
da manchmal entdecke, davon hast Du in Deiner
Unerfahrenheit keine Ahnung. Da glänzt manches,
was in Wirklichkeit nur Flittergold ist; mancher
wird beneidet, der nichts besitzt, was beneidens-
wert wäre! Ich sage Dir, wenn Du einen braven,
fleißigen Handwerker heiratest, dann kannst Du
mit der nötigen Bescheidenheit und Zufriedenheit
auf ein glückliches Dasein rechnen, kannst auch später
noch zu Vermögen gelangen, wenn Du hauszuhalten ver-
stehst, das Handwerk hat immer noch einen goldnen
Boden."
Helene schwieg noch immer, sie hatte Gabel und Messer
längst hingelegt und die Oberlippe trotzig aufgeworfen, starr
l. Ein Kalndorf — 2. u. 3. Kuluschinheilen. — 4. Rasthaus für reisende Göltcebilder. — 5. Kuluwohnhaus. — 6. Ein Dungrilem>>el. — 7. Kulnmädchcn.
Skizzen aus Kulu sauf stcm Keg« »oa 8imla aalst Tstistet). (T. 298.)
Illustri rte Welt.
„Laß es in Ruhe," flüsterte Rudolf, „die War-
nungen Huldas haben Eindruck gemacht, verdirb nur
nichts mit Deinem Drohen und Schelten, Du er-
reichst dadurch nur das Gegenteil."
Die Brüder setzten sich an den Tisch, Helene
bediente sie schweigsam, mit mürrischer Miene.
Karl Ganter konnte es doch nicht unterlassen,
reiben mußte er sich an der Schwester, es war für
ihn ein Lebensbedürfnis.
„Der Herr Lieutenant wird nun auch graue
Haare bekommen," sagte er sarkastisch, „heute geht
der Tanz los, die Geduld seiner Manichäer ist zu
Ende."
„Und was hast Du davon?" fragte Helene ent-
rüstet.
„Wenn ich nur so viel davon habe, daß er Dich
in Ruhe läßt, so genügt mir das," erwiderte er.
„DaS wäre auch ohne Deine gehässige Hetzerei
geschehen!"
„Wirklich?" sagte er mit einem lauernden Blick.
„Das glaube ich nicht."
„Wenn ich nichts mehr von ihm wissen will,
dann muß die Geschichte wohl ein Ende haben," ent-
gegnete sie trotzig.
Karl Ganter hatte seine Suppe ausgelöfselt, er
legte den Löffel hin und sah seine Schwester über-
rascht an.
„Du?" fragte er zweifelnd. „Du hast mit ihm
gebrochen? Wenn das wahr ist, dann lasse ich mich
hängen!"
„So such' Dir getrost den Strick aus, an dem
Du hängen willst," erwiderte sie spöttisch, indem sie
sich erhob, um die übrigen Speisen zu holen.
„Hat sie mit Dir vorhin schon darüber ge-
sprochen?" wandte Karl sich zu seinem Bruder. „Da
muß etwas vorgefallen sein, ich kann nicht glauben,
daß sie aus eigenem Antrieb den Bruch herbeigeführt
haben soll."
„Ich weiß es nicht," antwortete Rudolf achselzuckend,
„sie fragte mich nur, ob ich wisse, daß Du geheimer Polizei-
spion seist!"
„Ah, da liegt der Hase im Pfeffer! Was hast Du ihr
geantwortet?"
Viktor Nehlcr. (S. 298.)
„Dasselbe, was Du mir geantwortet hast, als ich Dir
Vorwürfe machen wollte."
„Gut," nickte Karl, der die zurückkehrende Schwester
mit einem spöttischen Lächeln empfing. „Der Herr Lieu-
tenant wird wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß er
mit einer Dame nicht verkehren darf, deren Bruder
Polizeispion ist! Uebrigens hätte er längst so gescheit
sein können, denn er kannte meine Stellung schon
vor Monaten."
Helene schwieg, sie zuckte nur mit den Achseln,
als ob sie sagen wolle, sie halte es nicht der Mühe
wert, mit ihni darüber zu streiten.
„Das mag Dir beweisen, wie unlauter seine
Absichten und Gesinnungen waren," nahm er nach
einer Pause wieder das Wort und seine Stimme
klang jetzt freundlicher und herzlicher; „daß er an
eine Heirat mit Dir nicht denken durfte, wußte er
von Anfang an, dennoch würde er seine Verfolgungen
fortgesetzt und Dich um Deinen guten Ruf gebracht
haben, hätten meine Drohungen ihn nicht einge-
schüchtert. Und die Versicherung gebe ich Dir, hätte
ich ihn noch einmal hier gefunden, so wäre er die
Treppe hinuntergeflogen. Was ich thun kann, um
Dir eine glückliche Zukunft zu sichern, das soll gerne
geschehen, aber daß Du aus diesem Wege das nicht
erreichen kannst, das müßtest Du doch einsehen.
Hochmut kommt immer vor dem Fall, Helene, ich
könnte Dir manche Geschichte erzählen, wo Hochmut
zum Verbrechen geführt hat. Daß ich Beamter der
geheimen Polizei bin, rechne ich mir nicht zur Un-
ehre an, mögen hochnäsige Leute auch anders dar-
über denken, wir sind nötig und unsere Thätigkeit
gereicht den Ehrlichen nur zum Segen. Und gerade
in dieser Stellung habe ich fast täglich Gelegenheit,
einen Blick hinter die Coulissen zu werfen; was ich
da manchmal entdecke, davon hast Du in Deiner
Unerfahrenheit keine Ahnung. Da glänzt manches,
was in Wirklichkeit nur Flittergold ist; mancher
wird beneidet, der nichts besitzt, was beneidens-
wert wäre! Ich sage Dir, wenn Du einen braven,
fleißigen Handwerker heiratest, dann kannst Du
mit der nötigen Bescheidenheit und Zufriedenheit
auf ein glückliches Dasein rechnen, kannst auch später
noch zu Vermögen gelangen, wenn Du hauszuhalten ver-
stehst, das Handwerk hat immer noch einen goldnen
Boden."
Helene schwieg noch immer, sie hatte Gabel und Messer
längst hingelegt und die Oberlippe trotzig aufgeworfen, starr
l. Ein Kalndorf — 2. u. 3. Kuluschinheilen. — 4. Rasthaus für reisende Göltcebilder. — 5. Kuluwohnhaus. — 6. Ein Dungrilem>>el. — 7. Kulnmädchcn.
Skizzen aus Kulu sauf stcm Keg« »oa 8imla aalst Tstistet). (T. 298.)