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derselben an künstlerischer Bedeutung weit über seine Altersgenossen
empor und fesselt die Blicke von Kennern und Nichtkennern — es
ist das kürzlich renovirte Rathaus.
Dasselbe, eines der eigenartigsten Werke alter Baukunst, steht
inmitten eines großen Platzes, dem sogenannten „Ring", und ist
wahrscheinlich zu Anfang der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
erbaut worden, als die Stadt durch die großen Brände von 1342
und 1344 heimgesucht worden war und neben vielem anderen auch
sein altes Rathaus den Flammen zum Opfer fallen sah.
Das Gebäude ist ganz im spätgotischen Stil ausgesührt und
mit unzähligen Ornamenten, mit Fialen, Erkern, Türmchen,
Wappen und Steinfiguren bedeckt. Hin und wieder erblickt man
auch noch Reste von Freskomalereien, meist im grotesken Geschmack
jener Zeit gehalten, wie zum Beispiel auf der Mitternachtscite
eine Abbildung des Teufels, welcher seine Großmutter auf einem
Schubkarren fährt. In einer Nische über dem Spitzdach eines
Illustrirte Welt.
Erkerfensters vom „Fürstensaal" zeigt sich das Bild der heiligen
Elisabeth, wenn auch ganz dunkelbraun geworden, immerhin noch
in annehmbarer Erhaltung. Man erkennt ein sehr zartes Gesicht
mit blondem, niederwallendem Haar und der Andeutung des
Heiligenscheins. Grünes Kleid und roter Mantel sind noch deut-
lich sichtbar, ebenso das Körbchen mit Broten.
Zwei Treppen führen an der Morgen- und Abendseite zuni
Eingang des Rathauses durch eine schöne, große Spitzbogenthür
in eine gewölbte Halle. Von dort gelangt man über eine andere
Treppe aus fast schwarz gewordenem Eichenholz in den ersten Stock,
in welchem sich die Magistratssessionsstube, die große Kanzlei, die
Stadtvogtei und das Archiv befinden. Im zweiten Stock hielt
das Stadtgericht seine Sitzungen. Das betreffende Zimmer ist
1746 aufs neue verziert worden. Es befinden sich hier die Bild-
nisse der Könige Friedrich H., Friedrich Wilhelm II. und Friedrich
Wilhelm 111. von Preußen. Außerdem noch drei Gemälde: das
Urteil Salomos; der Richter, deni Kambyses die Haut abziehen
ließ (beide von Willmann), und eine allegorische Verherrlichung
Kaiser Leopold 1.
Ueber dem Haupteingang des Rathauses, gegen Morgen, be-
findet sich eine große Tafel mit arabischen Zahlen von 1 bis 12
und eine daran befindliche Kugel gibt das Ab- und Zunehmen
des Mondes an. Unter dieser Tafel spielte einst eine ähnliche
Tragödie wie im Dogenpalast zu Venedig. Auch diese Steine
haben Blut getrunken, obschon vielleicht weniger unschuldiges, als
es Marino Falieri vergoß. Unter König Matthias (1474—1490)
ward Breslau sehr despotisch regiert. Des Königs Minister
Stein beantwortete die gerechten Beschwerden des Volks gar nicht
oder nur durch die herbsten Spottreden. Breslau, welches das
milde Scepter Georg Podiebrads verworfen hatte, mußte sich unter
die Geißel Georg Steins beugen. Nach siebenzehnjährigem schwerem
> Druck ward die Stadt durch den Tod des Matthias, 4. April
Das Rathaus in Breslau. Nach einer Photographie von Ed. van Delden in Breslau. (S. 355.)
vormals hier verzapft wurde. Tie Frequenz dieses Kellers, nament-
lich an Markttagen, ist eine ungeheure und läßt sich am deut-
lichsten dadurch nachweisen, daß die gegenwärtige Pacht einige
vierzigtausend Mark beträgt. Früher, vielleicht auch noch jetzt,
war der Schweidnitzer Keller der Sitz der städtischen Politiker, so
daß man oft bei politischen Nachrichten von zweifelhafter Wahr-
heit zu sagen pflegte, „sie stammen aus dem Schweidnitzer Keller".
Vor dem Rathaus steht die steinerne Staupjäule, ein furcht-
bares Denkmal der grausamen Kriminaljustiz der Vorzeit. An
ihr wurden alle körperlichen Ltrafen, die nicht niit dem Tode
endigten, vollzogen; jetzt hat sie nur die friedliche Bestimmung,
auf ihren Stufen den Verkäufern ländlicher Erzeugnisse einen
Ruheplatz zu bieten. So hat die Neuzeit die „gute alte Zeit"
abgclöst, und wenn ihr auch noch manches zur Vollkommenheit
fehlt, so darf sie doch mit gerechtem Stolz auf ihre Errungen-
schaften blicken, deren edelste die Humanität ist.
Morgens in das Rathaus und ermordete die Natsherren, einige
auf der Stelle, die anderen durch die Hand des dazu gedungenen
und gezwungenen Scharfrichters vor dem Rathaus. Zugleich be-
mächtigten sich die Verschworenen der vorhandenen königlichen und
städtischen Gelder, vernichteten und zerstreuten viele Dokumente
und wählten einen andern Rat. Als aber ein Jahr später
Menzels Nachfolger, Kaiser Sigismund, nach Breslau kam, ließ
er über die Urheber des Aufruhrs Gericht halten. Zufolge des
gefällten Urteils wurden dreiundzwanzig Bürger enthauptet. Auf
Lein Wege zur Elisabethkirche hat man ihre Körper unter drci-
undzwanzig großen Steinen verscharrt, damit die Bürger von
Breslau auf ihrem Gang zur Kirche stets dieser That und ihrer
Folgen eingedenk seien.
Unter dem Rathaus befindet sich der Schweidnitzer Keller,
iin Volksmund der Schwcinfche Keller genannt, in dessen großen,
kühlen Räumen Bier ausgeschenkt wird. Seinen Namen sührt er
von dem Bier aus Schweidnitz, dem besten im Lande, welches
1490, befreit. Ter Minister von Stein, der sich nach der
Mark geflüchtet, entging der Rache des Volks; minder glück-
lich aber war das Werkzeug seiner Unterdrückung, der Landes-
hauptmann des Fürstentums Breslau, Heinrich Tompnig (Do-
minik). Er ward beim Rat angeklagt, städtische Gelder unter-
schlagen, neue Auflagen befördert, die Münzen verringert,
Privilegien verraten und dem Könige wie dessen Minister die
Verhandlungen des Rats, denen er beigcwohnt, niitgeteilt zu
haben. Ein auf die Folter gestütztes Urteil erkannte ihm die
Todesstrafe durch das Schwert zu, welches bei geschlossenen Stadt-
thoren vor dem Rathaus auf einer schwarzsammetnen Decke voll-
zogen ward.
Bereits früher, 1118, hatte das Rathaus die Bluttaufe em-
pfangen. Unter König Wenzel hatte sich eine Verschwörung der
Bürger gegen den Rat entspannen. Eine Anzahl der Miß-
vergnügten nahm in der Kleinenskapelle das Abendmahl und ließ
sich Absolution erteilen, drang dann in de: Frühe des nächsten
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derselben an künstlerischer Bedeutung weit über seine Altersgenossen
empor und fesselt die Blicke von Kennern und Nichtkennern — es
ist das kürzlich renovirte Rathaus.
Dasselbe, eines der eigenartigsten Werke alter Baukunst, steht
inmitten eines großen Platzes, dem sogenannten „Ring", und ist
wahrscheinlich zu Anfang der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
erbaut worden, als die Stadt durch die großen Brände von 1342
und 1344 heimgesucht worden war und neben vielem anderen auch
sein altes Rathaus den Flammen zum Opfer fallen sah.
Das Gebäude ist ganz im spätgotischen Stil ausgesührt und
mit unzähligen Ornamenten, mit Fialen, Erkern, Türmchen,
Wappen und Steinfiguren bedeckt. Hin und wieder erblickt man
auch noch Reste von Freskomalereien, meist im grotesken Geschmack
jener Zeit gehalten, wie zum Beispiel auf der Mitternachtscite
eine Abbildung des Teufels, welcher seine Großmutter auf einem
Schubkarren fährt. In einer Nische über dem Spitzdach eines
Illustrirte Welt.
Erkerfensters vom „Fürstensaal" zeigt sich das Bild der heiligen
Elisabeth, wenn auch ganz dunkelbraun geworden, immerhin noch
in annehmbarer Erhaltung. Man erkennt ein sehr zartes Gesicht
mit blondem, niederwallendem Haar und der Andeutung des
Heiligenscheins. Grünes Kleid und roter Mantel sind noch deut-
lich sichtbar, ebenso das Körbchen mit Broten.
Zwei Treppen führen an der Morgen- und Abendseite zuni
Eingang des Rathauses durch eine schöne, große Spitzbogenthür
in eine gewölbte Halle. Von dort gelangt man über eine andere
Treppe aus fast schwarz gewordenem Eichenholz in den ersten Stock,
in welchem sich die Magistratssessionsstube, die große Kanzlei, die
Stadtvogtei und das Archiv befinden. Im zweiten Stock hielt
das Stadtgericht seine Sitzungen. Das betreffende Zimmer ist
1746 aufs neue verziert worden. Es befinden sich hier die Bild-
nisse der Könige Friedrich H., Friedrich Wilhelm II. und Friedrich
Wilhelm 111. von Preußen. Außerdem noch drei Gemälde: das
Urteil Salomos; der Richter, deni Kambyses die Haut abziehen
ließ (beide von Willmann), und eine allegorische Verherrlichung
Kaiser Leopold 1.
Ueber dem Haupteingang des Rathauses, gegen Morgen, be-
findet sich eine große Tafel mit arabischen Zahlen von 1 bis 12
und eine daran befindliche Kugel gibt das Ab- und Zunehmen
des Mondes an. Unter dieser Tafel spielte einst eine ähnliche
Tragödie wie im Dogenpalast zu Venedig. Auch diese Steine
haben Blut getrunken, obschon vielleicht weniger unschuldiges, als
es Marino Falieri vergoß. Unter König Matthias (1474—1490)
ward Breslau sehr despotisch regiert. Des Königs Minister
Stein beantwortete die gerechten Beschwerden des Volks gar nicht
oder nur durch die herbsten Spottreden. Breslau, welches das
milde Scepter Georg Podiebrads verworfen hatte, mußte sich unter
die Geißel Georg Steins beugen. Nach siebenzehnjährigem schwerem
> Druck ward die Stadt durch den Tod des Matthias, 4. April
Das Rathaus in Breslau. Nach einer Photographie von Ed. van Delden in Breslau. (S. 355.)
vormals hier verzapft wurde. Tie Frequenz dieses Kellers, nament-
lich an Markttagen, ist eine ungeheure und läßt sich am deut-
lichsten dadurch nachweisen, daß die gegenwärtige Pacht einige
vierzigtausend Mark beträgt. Früher, vielleicht auch noch jetzt,
war der Schweidnitzer Keller der Sitz der städtischen Politiker, so
daß man oft bei politischen Nachrichten von zweifelhafter Wahr-
heit zu sagen pflegte, „sie stammen aus dem Schweidnitzer Keller".
Vor dem Rathaus steht die steinerne Staupjäule, ein furcht-
bares Denkmal der grausamen Kriminaljustiz der Vorzeit. An
ihr wurden alle körperlichen Ltrafen, die nicht niit dem Tode
endigten, vollzogen; jetzt hat sie nur die friedliche Bestimmung,
auf ihren Stufen den Verkäufern ländlicher Erzeugnisse einen
Ruheplatz zu bieten. So hat die Neuzeit die „gute alte Zeit"
abgclöst, und wenn ihr auch noch manches zur Vollkommenheit
fehlt, so darf sie doch mit gerechtem Stolz auf ihre Errungen-
schaften blicken, deren edelste die Humanität ist.
Morgens in das Rathaus und ermordete die Natsherren, einige
auf der Stelle, die anderen durch die Hand des dazu gedungenen
und gezwungenen Scharfrichters vor dem Rathaus. Zugleich be-
mächtigten sich die Verschworenen der vorhandenen königlichen und
städtischen Gelder, vernichteten und zerstreuten viele Dokumente
und wählten einen andern Rat. Als aber ein Jahr später
Menzels Nachfolger, Kaiser Sigismund, nach Breslau kam, ließ
er über die Urheber des Aufruhrs Gericht halten. Zufolge des
gefällten Urteils wurden dreiundzwanzig Bürger enthauptet. Auf
Lein Wege zur Elisabethkirche hat man ihre Körper unter drci-
undzwanzig großen Steinen verscharrt, damit die Bürger von
Breslau auf ihrem Gang zur Kirche stets dieser That und ihrer
Folgen eingedenk seien.
Unter dem Rathaus befindet sich der Schweidnitzer Keller,
iin Volksmund der Schwcinfche Keller genannt, in dessen großen,
kühlen Räumen Bier ausgeschenkt wird. Seinen Namen sührt er
von dem Bier aus Schweidnitz, dem besten im Lande, welches
1490, befreit. Ter Minister von Stein, der sich nach der
Mark geflüchtet, entging der Rache des Volks; minder glück-
lich aber war das Werkzeug seiner Unterdrückung, der Landes-
hauptmann des Fürstentums Breslau, Heinrich Tompnig (Do-
minik). Er ward beim Rat angeklagt, städtische Gelder unter-
schlagen, neue Auflagen befördert, die Münzen verringert,
Privilegien verraten und dem Könige wie dessen Minister die
Verhandlungen des Rats, denen er beigcwohnt, niitgeteilt zu
haben. Ein auf die Folter gestütztes Urteil erkannte ihm die
Todesstrafe durch das Schwert zu, welches bei geschlossenen Stadt-
thoren vor dem Rathaus auf einer schwarzsammetnen Decke voll-
zogen ward.
Bereits früher, 1118, hatte das Rathaus die Bluttaufe em-
pfangen. Unter König Wenzel hatte sich eine Verschwörung der
Bürger gegen den Rat entspannen. Eine Anzahl der Miß-
vergnügten nahm in der Kleinenskapelle das Abendmahl und ließ
sich Absolution erteilen, drang dann in de: Frühe des nächsten
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