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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

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Heft 4
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78

Zllustrierte Welt.

„In den Augen Ihrer Frau, Stas, wären Sie dann
ein Held geworden. Ich versichere Sie. Als stille
Dulder lieben die Weiber uns nicht zu sehen."
„Wir haben auf unserm Wappen das Wort: Ich
warte'," giebt der Pole zurück.
„A bah — sehr dehnbar. Auf was warten?
Den Augenblick des Glücks? Den muß man sich
erzwingen."
„Gelegenheit!"
„Die geht oft lachend vorüber."
„Woran denken Sie, Baron?" fragt die Kreolin.
„An die Herzlosigkeit der Frauen."
„Baron!"
„Wirklich! Und daß -"
„Was?"
„Es ein Schicksal ist, daß uns so viele gefallen.
Es müßte weniger geben, das machte uns nicht so
wankelmütig."
„Sie sind schlimm, sehr schlimm!"
Er hat darauf bestanden, daß Franz Ludwig
Aumüller den Platz des Mulatten bekam. Er nennt
ihn seinen Freund, „er macht mir Spaß mit seinen
dicken Händen und seiner täppischen Unbeholfenheit,
sehr viel Spaß."
„Ja, Baron, ja!"
„Warum haben Sie nicht geheiratet?" fragt er
dann plötzlich.
Der Backerkönig lächelt.
„Das war sehr einfach. Sie wollte mich nich, un
da ging ich nach drüben."
„Sie? Eine Lotte oder Grete — und war?"
„Nee, Rieke hieß sie und war Dienstmädchen bei
'nem Schlachter. Un dem seine zweite Frau is sie
geworden. Un wie ich wieder vor fünf Jahren nach
Hause kam, war sie Witwe, wollte mich aber wieder
nich, trotz mein' Geld, denn sie sagte, sie hätte aus-
kömmlich. Un übers Wasser wollte sie nich mit. Ja,
so ging's!"
Er lächelt noch seelenvergnügter, und Baron Hell-
mers ist auf das höchste amüsiert. Und plötzlich
wendet er sich zu Madame Selmine und sagt ihr
französisch:
„Da sollten Sie angeln, das wäre eine Beute,
während —"
Sie wird blutrot, beißt die Zähne zusammen und
fragt Mr. Croßly, wie viel Grad man eigentlich
heute habe.
Ueber Reginas Gesicht ist ein Schatten gezogen;
ihr Vater sieht sie scharf an.
„Sind wir nicht zufrieden?"
„Es war," sie sagt es ganz leise, nur Broesen
versteht es noch, „roh!"
„Und ist nicht sein, daß du mich koramierst."
„Du fragtest!"
,,ll'ol est mon xlaisir!"
„Martinique!" sagt Madame Selmine, als das
grüne Eiland durch das Wandfenster wahrzunehmen ist,
mit Stolz, während Rosette verächtlich die Lippen
kräuselt. „O, der Mont Pelee, der alte Vulkan, wie
pittoresk er ist. Und die Pitons! Wir lieben das
alles, es ist unsre Heimat!"
Man verläßt den Tisch; die Landung in Saint-
Pierre steht bald bevor. Die Naturforscher, die hier
ausgesetzt werden, neben einer Anzahl Passagieren, unter
denen Priester und Nonnen, Arbeiter und Amerikaner
sind, wollen des herrlichen Jardin des Plantes halber
ihren Aufenthalt nehmen und gehen unter den Be-
kannten umher, sich zu verabschieden. Man sieht die
Häuser der Stadt, hell mit roten Dächern, und massiv
gebaut, terrassenförmig übereinander emporsteigen und
sich malerisch von dem grünen Hintergründe abheben.
Kirchen dazwischen, Anhöhen mit Palmen, Orangen;
Treppen, die in die Straßen emporsühren, große
Bäche kommen kaskadenartig von den Bergwänden
herunter und nehmen ihren Weg dem Meere zu.
Der Anker sällt, zahllose Boote gleiten auf die
Jmperatrix zu, und plötzlich kommt den nordischen
Reisenden beinahe die Ueberzeugung, es müsse die Be-
völkerung der Insel Martinique gewöhnt sein, halb
im Wasser zu leben. Solch flotte Schwimmer und
Taucher hat mau noch nicht angetroffen während der
ganzen Fahrt. In winzig kleinen, aus alten Kasten
zusammengeschlagenen Booten, zwei viereckige Bretter
als Ruder gebrauchend, kommen viele braune Jüng-
linge und Knaben heran, auf die Sous wartend, die
sie vom Meeresgrund holen sollen — es ist ein Leben
und Kreischen, ein Plätschern, Niedergleiten und
prustendes Emporkommen, ein immerwährendes Bewegen
der lichtgrünen Flut durch nackte Menschengestalten.
„Und denken Sie doch, wir haben den Kaiman in
unfern stillen Gewässern," erzählt Selmine, „und
Vipern und Schlangen und Skorpione auf der Insel."
„Soll ich meine Teilnahme dafür äußern?" fragt
Hellmers. „Ganz zu Ihren Befehlen!"
„Der Herr Kapitän lassen die Herrschaften bitten,
den Kaffee oben bei ihm trinken zu wollen."
„Ah, die langversprochene Sache," sagt Hellmers.
„Wir kommen freilich. Regina!"

„Ja!" antwortet sie und wendet sich sofort.
Der Raum, die hübschen Möbel haben etwas Be-
hagliches, die Ausstattung hält die Mitte zwischen
den Anforderungen des nordischen Klimas und eines
wärmeren. Da ist der Tisch vor dem Sofa, das
Büffett, ein Schreibtisch, ein großer Spiegel vor
dem Schrank, die verdeckte Waschtoilette, das ver-
hängte Bett.
„Man braucht nicht mehr zum Leden. Man sollte
nicht mehr haben," ruft die Kreolin enthusiastisch.
Baron Hellmers fordert den guten Cognac, Boro-
dowsky sagt nichts, er folgt Reginas Bewegungen.
Sie steht mit dem Kapitän vor dem Schreibtisch, und
er giebt ihr allerlei in die Hand: den Briefbeschwerer
aus Silber, der eine englische Widmung trägt, das
Tintenfaß aus Lapislazuli — sie red^n nicht viel.
Aber er versteht wohl, was das für den andern bedeutet.
Ihre Finger haben das umschlossen, ihr Blick hat
darauf geruht — es ist geweiht.
„Keine Bilder von Angehörigen?" fragt sie.
„Nein, Frau Fürstin!"
„Hahaha!" lacht Hellmers. „Ich kannte einen
Kapitän, Gina, der Waidring war's, du weißt ja
auch, das war ein solch deutscher sentimentaler Bursch,
daß er abends den Bildern von Frau und Kindern
Küsse gab. Der Steward konnte sich totputzen. Hab'
ich gelacht — wahrhaftig!"
Borodowsky dankt für die Zigarren wie für die
Getränke.
Als sie zum Gehen aufbrechen, steht Regina neben
Broesen.
„Ich danke Ihnen!" sagt er.
Sie schüttelt den Kopf. „Wo die Jmperatrix
auch hinfährt, ich werde sie verfolgen. Und dann
denke ich Sie mir in stillen Stunden hier in diesem
behaglichen Nest — das Meer rauscht, die Sterne
blitzen —"
Sie bricht ab.
„Und ich —" ein langer Seufzer, „ich werde
daran denken, daß Sie hier standen."
In aller Frühe bootet man aus für Fort de
France; bis zur Mitternachtsstunde bleibt das Schiff
liegen. Madame Selmine hat ein großes Gefolge,
den neuen Schwiegersohn, die deutschen Freunde, eine
Unzahl Koffer. Sie ist in ungewöhnlicher Auf-
regung. „Sie wissen, ich bin so lange fort ge-
wesen. Und nun — wie wird man alles finden?
Mein ganz, ganz kleines Haus, meinen Garten. O ich
bin eine leichtlebige Natur und habe gar nicht daran
gedacht unterwegs. Lieber Baron, wie wenig wird
Ihnen meine Hütte gefallen. Wirklich nicht mehr
wie eine Chaumiere, wörtlich zu nehmen. Unsre An-
sprüche hier unten sind so ganz andre. Wenn Sie
Josephinens Geburtshaus in Les trois Jsles sehen —
und eine Kaiserin ging daraus hervor. Sie verstehen!"
„Ja, meine Königin!"
Sie sieht ihn unsicheren.
„Ludwig Franz Aumüller muß mit," sagt Hellmers.
„Ich habe sonst wirklich keinen Spaß an dem Aus-
flug — wirklich."
Und der Bäcker nickt einverstanden.
Broesen steht auf dem Promenadendeck und grüßt
hinunter, als die Barkassen abstoßen.
Schnell mit ihrem puffenden Geräusch gleiten die
kleinen Fahrzeuge der Landungsbrücke zu. Einmal
wird das ein andres Abschiednehmen sein, da wird er
wissen, sie kehrt nicht mehr zurück — leer wird daun
sein Riesenschiff sein — trotz vieler, vieler Menschen.
Er gewahrt, wie sie drüben anlegen. Das ist ihre
schlanke, weiße Gestalt, die sich erhebt, — nun ver-
schwindet sie zwischen den andern.
An Land steht eine Menschenmauer, meistens
dunkelfarbige Männer, Frauen und Kinder; sie
lungern herum, blicken nach dem großen Fahrzeug,
tauschen Bemerkungen, begrüßen die Barkassen mit
Händeklatschen und Zurufen in ihrem Gemisch von
Französisch und Niggerenglisch; die Frauen haben
schmutzige, weiße Anzüge an, die Männer sind weniger
belästigt durch feste Gewänder.
Eine Mulattin und ein Neger sind zum Empfang
von Madame Selmine am Hasen; die erstere stürzt
mit einem Wortschwall auf sie zu, alt und runzelig
und zahnlos dankt sie den Heiligen, daß sie „Naäame
ot la xetito" wiedersieht. Der Schwarze rollt die
Augen, bückt sich nach dem Gewand der Herrin, schlägt
gegen seine Brust.
„Belise und Cäsar, das ist meine ganze Diener-
schaft. Sie wissen, wir leben hier so bescheiden. Die
Natur ist uns alles — voilä!-' erklärt Madame Sel-
mine mit ihrem Kinderlächeln. Rosette wird von
Mr. Croßly geführt.
„New Port," sagt sie, „wird mich für alles ent-
schädigen. Nicht?" und er nickt sein „lnckeeck", die
Umgebung kaum beachtend.
„Ein lustiger Kerl, Mr. Cäsar!" sagt Ludwig Franz
Aumüller und giebt dem Schwarzen im rot und weiß
gestreiften Hemde, das mit den blauen Beinkleidern und I

sandalenartigen Schuhen die ganze Ausstaffierung des
„Haushofmeisters", von dem Frau Serafine Selmine
früher sprach, bildet, einen derben Schlag aus die
Schulter.
„Ja, wie eine Prinzessin in einem Märchen lebt
man hier," versichert die schöne Frau noch einmal
und schlägt dann vor, daß man sich zuerst die Statue
der Kaiserin, da rechts aus dem großen Platz, ansieht
und dann links den gar nicht zu verfehlenden Weg
zum Hotel nimmt. Und von dort wird sie ihre
Freunde holen lassen. „Denn einen Augenblick müssen
Sie unter mein bescheidenes Dach treten. Sie wissen,
am Tage der Ankunft ist man nicht auf Gäste vor-
bereitet. Sehen Sie überdies die beiden an, über die
ich zu verfügen habe. Ihr Diner würde schlecht aus-
fallen. Wir kommen alle ins Hotel de Paris, das
ist sicherer."
„Ja!" sagt Aumüller, und giebt Cäsar, der sich
der Sträuße bemächtigt hat, die man den Damen aus
dem Schiff gegeben, einen zweiten Schlag. „Den
möcht' ich mitnehmen, scharlachrot anziehen und immer
hinter mir her gehen lassen!"
„Eine kapitale Idee!" sagt Hellmers. „Was noch
besser wäre. Sie nähmen auch gleich seine Herrin mit!
Eine famose Mrs. Aumüller würde sie abgeben —
was?"
Ludwig Franz reißt die Augen weit auf.
„Nee!" sagt er ganz trocken, „das nich — nee!"
Hellmers lacht schallend. „Warum denn nicht?"
„Die ist mir zu zierlich — sehen Sie, Rieke
Meyer, geborene Wiedermann, so alt wie sie schon
is — wenn die wollte! Die hat Hände und Finger,
die können was fassen. Da muß einer nich gleich
denken, daß sie zerbrechen, wenn man sie in seine
nimmt. Nee, ich bin nich fürs Zierliche!"
Aumüllers breites Gesicht glänzt.
„Sehen Sie, lieber Baron, Sie haben Verständnis
von Sachen und Menschen. Sie fühlen das nach.
Nehmen Sie's mir nich übel, aber die Fürstin Durch-
laucht, mit der kann ich mich auch nich gut stellen.
Da is so was drum 'rum — und er, Ihr Schwieger-
sohn, der is ja nun hochmütig. Der — aus dem
mach' ich mir nich viel. Er is 'n Fürst, und ich habe
Millionen, na. Sie lassen ihn ja nich knapp, aber
ich habe mir mein Geld selber verdient. Und das is
'ne Sache!"
Das Standbild der Kaiserin erhebt sich auf einem
großen, freien, sandigen Platz, auf dem französische
Soldaten exerzieren. Die Kommandoruse schallen, die
Schritte klingen dumpf, die Leute sehen erhitzt aus.
Einige Zuschauer in Zivil, schwarze Kinder, ein paar
Soldaten betrachten das militärische Schauspiel.
In der Tracht ihrer Zeit steht die ebenmäßige
Gestalt auf dem Postament, freundlich lächelnd, eine
Rose in der Hand — unter der Regierung des Enkels,
Napoleon UI-, ist das Denkmal gesetzt.
Man hat nicht viel darüber zu sagen, es ist kein
besonderes Kunstwerk und keine zwingende Persönlich-
keit. Es ist die Laune des Zufalls, der die Kreolin
nach Frankreich brachte und sie als Witwe Beau-
harnais zur Gattin des Generals Bonaparte gemacht.
Nur Franz Ludwig Aumüller legt die breite, aus-
gearbeitete Hand über die Augen und betrachtet die
Züge Josephinens lange. Dann, als man sich schon
zum Gehen wendet, fragt er mit seinem spitzen, hol-
steinischen Tone: „Wer is es denn eigentlich?"
„Eine Verwandte von Madame Selmine!"
„Wohl ein Grabdenkmal?"
„Auch so was derart."
Er ist zufrieden. „Ganz hübsch — aber in New
Jork machen wir das auch großartiger."
„Sehen Sie Wohl — wenn Sie also Madame Sel-
mine ein Grabdenkmal zu setzen berechtigt werden
würden —"
„Nee, Rieke — wissen Sie, an die muß ich noch
immer denken. Und dick is se geworden und war mal
beinah dünn. Kinder hat sie auch nich mit ihrem
Schlachter gehabt, sonst hätten die Wohl 'rüber kommen
mögen! Kinder hab' ich nämlich immer furchtbar gern
gehabt und mir manchmal gedacht, wenn so etwas
einem um die Kniee krabbelte." Er schnippt mit
Daumen und Zeigefinger durch die Luft.
Die einheimischen Frauen, die den Fremden be-
gegnen, haben fast sämtlich einen stolzen Gang und
ein beinah ernstes Aussehen. Sie tragen die schwarzen
Haare zu Schnecken an den Schläfen zusammengerollt
und mit silbernen Knopfnadeln gehalten, und darüber
buntleuchtende, turbanartige Tücher. Es ist eine kleid-
same Nationaltracht. Man geht durch ein paar Straßen,
die ganz hübsche Bauten aufweisen, das Hotel hat
Palmen vor dem Portal und eine weithin leuchtende
goldene Inschrift- Negerknaben mit Phantasielivree
in den französischen Farben lungern in dem Vorgarten
herum. In der kleinen kühlen Vorhalle nimmt man auf
Bambusstühlen Platz — Regina hat nur den teilnahm-
losen Blick für all das hier, was so wenig das Auge
reizt, in seiner Wiederholung so gleichgültig wird.
„Ich bin antillenmüde," jagt sie dem Vater.
 
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