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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 5.1917-1919(1919)

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Levy, Ludwig: Ist das Kainszeichen die Beschneidung?: ein kritischer Beitrag zur Bibelexegese
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https://doi.org/10.11588/diglit.25679#0303

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Ist das Kainszeidien die BesAneidung?

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<in diesem Kreise entstand wohl die Sage> erschlagen, wurde ver-
fludit und mußte unstät und flüditig werden, weil ihm die befleckte
Erde ihren Ertrag nicht mehr gab. ÄIs er bereute, madite ihm Gott
das Zeichen, das die Keniter noch heute tragen.« Solche Stammes»
abzeichen sind: Haartrachten, Scheren des Kopfes, Einschnitte und Täto-
wierungen. So hat Kedar geschorene Haarecken, Ismael goldene Ohr-
ringe, Israel die Beschneidung. Diese Stammesabzeichen sind ursprüng-
lidi religiöser Art und zeigen an, daß ihr Träger Eigentum seines Gottes
ist, der ihn schützt. Daß die Sitte bestand, diese Zugehörigkeit durch
Einritzen in die Haut zum Ausdruck zu bringen, beweist Jesaja 44, 5:
»Der wird sagen: JHVH's bin ich und der nennt midi mit demNamen
Jakobs« ,■ und jener beschreibt seineHand: »JHVHeigen' und empfängt
den Beinamen Jsrael'«, Auch in Ezechiel 9, 4 zeichnet der Engel die
Stirnen der Männer, die die Schandtaten in Jerusalem beklagt haben,
mit einem Zeichen, das ihnen zum Schutzzeidien wird. Die Kopf-
tephillin sind sehr wahrscheinlich an Stelle eines Zeichens an der Stirne
zwischen den Augen getreten, als Einschnitte in den Körper als heid-
nische Kultsitte verboten wurden. Auch das Kainszeichen soll nach der
Tradition eine Stirntätowierung gewesen sein. Es spricht viel dafür,
daß diese Überlieferung richtig ist. Ein derartiges Stammesabzeichen
konnte auch als Schutzzeichen gelten, wie es die Kainsage aufgefaßt
wissen will. Der Träger stand unter dem Schutze seines Gottes, aber
auch seines Stammes, der den Tod jedes Angehörigen in der Blutrache
»siebenfach« rächte. Soviel über das Kainszeichen.

Nebenbei sei audi erklärt, warum JHVH das Opfer Kains
ablehnt, das Abels wohlgefällig annimmt. Ich glaube, daß der Grund
darin liegt, daß Kain irgendwelche Friichte des Feldes, nicht die
Erstlinge darbringt, Abel aber die Erstgeburten seiner Herde.
JHVH, meint die Sage, gebührt aber die Erstgeburt. Nur sie
nimmt er wohlgefällig auf. Religionsgeschichtlich bedeutsam ist die
Sage durch die Schilderung des bösen Gewissens, der Stimme Gottes,
und durch die gewaltige Kraft der Darstellung, wie Gott Kain vor
der Sünde warnt. Der Mythus macht in seiner lapidaren Kiirze einen
tiefen Eindrudc. Die Hilfsmittel der Psycho=Analyse, besonders der
Sexualsymbolik, können, darin stimme ich mit Reik iiberein, nodi
Licht in manche schwierige Partie der Bibel bringen. Es ist jedoch
größere Vorsidit bei ihrer Anwendung zu empfehlen 1.

1 Reik beruft sicfi audi auf Zeydner, der in der Zeitschrift für die alt-
testamentlidie Wissensdiaft, Jahrgang 1898, S. 120, dieselbe Hypothese, das Kains»
zeidien sei die Beschneidung gewesen, ausgesprochen hat. Zeydner hat jedodh nidit
einen einzigen stichhaltigen Beweis für seine Idee beigebradit, so daß sich ein Ein-
gehen auf seine dortigen Bemerkungen erübrigt. In derselben Zeitschrift, Jahrgang 1894,
S. 308, hat sidi sdion Stade, Beiträge zur Pentateudikritik, Das Kainszeichen, kurz
gegen die Identifizierung mit der Besdineidung ausgesprodien.
 
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