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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 5.1917-1919(1919)

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Levy, Ludwig: Ist das Kainszeichen die Beschneidung?: ein kritischer Beitrag zur Bibelexegese
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https://doi.org/10.11588/diglit.25679#0302

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Dr. Ludwig Levy

harter Arbeit ihm sie abringen? Die Antwort lautet: Der Acker wurde
verflucht, der Mensch hatte gegen das göttliche Gebot vom Baume der
Erkenntnis gegessen, d. h. mit seinem Weibe geackert, darum muß er
jetzt im Schweiße seines Angesichtes den Acker bebauen. Eine ähnliche
Frage liegt auch der Kainsage zugrunde und darum wurde diese Sage
unmittelbar mit der Paradieserzählung verknüpft. Die Frage lautete:
Warum gibt die Erde den Beduinen, den Kainiten, keinen Ertrag,
warum treiben sie keinen Ackerbau? Und die Antwort lautet: Die
Erde hat einst durch Schuld des Kain, des Stammvaters der Kainiten,
Bruderblut getrunken, das Blut eines Brudermordes hat sie befleckt,
»Das Blut deines Bruders schreit zu mir auf vom Acker. So sei denn
verflucht, hinweg von dem Adter, der seinen Mund auftun mußte,
zu empfangen von deiner Hand deines Bruders Blut! Wenn du den
Acker bebauen willst, soll er dir seine Kraft nicht mehr geben.«

Die Erde wird in der Bibel hie und da, im Nachklang alter
Mythen, als lebendes Wesen empfunden, wie bei den Ägyptern
oder wie die griechische Ge und die indische Prithivi. Sie wird durch
Blut befleckt, durch Unzucht entweiht, sie speit die unzüchtigen
Kanaaniter aus und in Leviticus 18 wird Israel vor geschlechtlichen
Verirrungen gewarnt, damit es nicht die Erde verunreinige, daß sie
es nicht ausspeie, wie sie es mit den friiheren Bewohnern getan. Bei
Ezechiel wird Palästina der Nabel der Erde genannt.

Das ist die eine Frage, auf die die Kainsage antwortet, Die
zweite Frage lautet: Wie ist das Stammesabzeichen der Keniter
entstanden? Und es wird die Antwort gegeben: Damals hat es ihr
Stammvater Kain von Gott erhalten, als er seinen Bruder Abel
erschlug. Mit dieser Zurüdcführung des Stammzeichens auf einen
Mord des Stammvaters wird der fremde Stamm verspottet. Zwar
lebte Israel, soviel wir wissen, in Freundschaft mit den Kenitern,
aber als mordgierig werden sie auch später geschildert. Die Keniterin
Jael erschlägt den fliehenden Feldherrn Sisera, den sie gastfreundlich
in ihr Zelt geladen hat und der vertrauensvoll bei ihr eingekehrt ist.
Solche Herabsetzungen begegnen uns auch heute noch zwischen den
ßewohnern verschiedener Dörfer und Gegenden und waren in alter
Zeit sicher gang und gäbe. In der Bibel begegnet uns eine ähnliche
Verspottung in Genesis 19, 36 ff. Da werden die Namen Moab und
Amon erklärt: Die Töchter Lots buhlen mit ihrem Vater und die
eine nennt ihren aus der blutschänderischen Gemeinschaft gezeugten
Sohn asia = a« 'a Wasser oder Samen meines Vaters, die andere
ihren Sohn jlaj? = 'ös? ;z Sohn meines <nächsten> Verwandten. Ebenso
wie dort die Stammesnamen wird hier das Stammeszeichen der
Keniter verächtlich gemacht und zugleich der räuberische Beduinen-
stamm als von Urbeginn an wegen einer Blutschuld zu seinem un-
stäten Wüstenleben verurteilt hingestellt. »Einst«, sagte man, »hat
auch der Stammvater dieser wilden Gesellen den Erdboden bebaut,
dann aber hat er seinen Bruder, den GotL-wohlgefälligen Schafzüchter
 
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