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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 5.1917-1919(1919)

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Bardas, Willy: Zur Problematik der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.25679#0375

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Zur Problematik der Musik

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die Selbsterhaltung winken -sieht. Allein nicht immer genügt die
Aufopferung von Teilinteressen, urn dem Endziel zu dienen. In
vielen Fällen ist mit der Selbsterhaltung des einen Teiles die Ver*
nichtung oder dauernde llnterdrückung des anderen unbedingt
verknüpft, und für diesen letzteren gibt es also keinen kontinuier^
lichen Nutzen, zu dem das Triebleben ihn leiten könnte. Und wenn
er dennoch im Trieb zur Selbsterhaltung der Vernichtung entgegen»
geht, so hat ihn hier die Voraussicht getäuscht, denn die Entwick^
lung des Konflikts wird ja nicht vorher gewußt, sondern nur kalku-
liert und der Irrtum ist möglich.

In diesem Fall also empfindet das im Kampf überwundene
Individuum Sehnsucht nach einem anderen Stand der Dinge. Llnd
da ist es die Phantasie,. die es ihm ermöglidit, sich in die glüddiche
Lage des andern zu versetzen. Der Spieltrieb, die Fähigkeit,
Phantasie zu betätigen, bringt ihn nun dazu, in der Kunst einen
Schein zu verwirklichen, einen Schein des erwünschten Zustandes.
Zwar ist audi hier der Inhaft wiederum das Spiel der Triebe,
jedoch mit anderem Ablauf als in Wirklichkeit, unter anderen
Voraussetzungen, gewissermaßen mit anderen Vorzeidien. Diese
veränderten Vorzeichen sind einerseits die sittliche Idee, die in der
Wirklichkeit nicht genügend zu ihrem Recht kam, anderseits das
Bewußtsein der Täuschung. Hier überwindet nicht stets der
Stärkere den Schwächeren, sondern unter Umständen der körperlich
Schwache, aber in irgend einem Sinn höher Stehende den körperlidi
Starken, in jenem Sinne aber minder Befähigten. Die Unwahr»
scheinlichkeit dieser Tatsache wird ruhig hingenommen, denn es
handelt sidi bewußtermaßen eben nur um ein Spiel, um einen
Schein, um das Ergebnis einer Flucht in eine Welt mit anderen
Voraussetzungen. Darum wird auch die Darstellung des Lebens mit
seiner Unerbittlidikeit und der für den Schwächeren ungliiddiche
Ablauf verklärt durch die im Grunde ruhende Qberzeugung von
der Unwirklichkeit des Spieles. So wird der Sdimerz veredelt und
die Ersdiütterung tröstlidi, denn Mitleiden tritt an die Stelle von
Leiden. Erträglich aber wird auch eine Wiederholung des im Leben
erfahrenen Ungliidcs durch das zu innerst waltende lebensbejahende
Gefühl: »Dies ist zwar wahr, denn eskönnte sich so ereignen, allein es
war nur Schein und — Gott sei Dank — mich hat es nicht getroffen.«

Dieses Gefühl der Erlösung, dieses Spiel mit Konsequenzen,
die im wirklichen Leben vital sein müßten, ist die Wurzel des
Lustgefühls audi in der Trauer und damit der Keim zur künstleri»
schen Ausbeute jedes Erlebnisses.

Insofern nun aber, als die im Lebenskampf Schwächeren sich
für dieses Minus einen Ausgleich schaffen mußten, um dem »Nein«
des Lebens ein »Ja« wenigstens im Scheinleben, der Kunst, ent-
gegenzusetzen, insofern verdanken wir ihnen die Kunst,- insofern
ist diese mit dem Triebleben verknüpff, und insofern ist audi dieses
letztere ein direkter Anreiz zur Kunst.
 
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