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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 7.1921

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Deutsch, Helene: Zur Psychologie des Mißtrauens
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https://doi.org/10.11588/diglit.28545#0090
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Dr. Hetene DeutsA

heit, der daraus resultierende Abzug vom Ideal, die starken Motive
zur Verstärkung des Dispositioneilen liefern, und vielfaA für den
Charakter das Verhängnisvolle darstellen werden. Als Charakter-
eigenschaft kann das Mißtrauen eine direkte Fortsetzung dieses
primären Anstoßes bleiben — bei seinem Entstehen als neurotisAes
Symptom auf die AuffrisAung dieser alten Erinnerungsspuren
zurü&geführt werden.
Aus dem Obengesagten wird es uns leiAt verständliA werden,
wieso diese, so allgemein bekannte und fast zur Regel gewordene
TatsaAe zustande kommt, daß der Verlust des Gehörs, die Taub-
heit, eine so auffallende Veränderung des Charakters, das typisAe
Mißtrauen mit siA bringt.
Wir wissen, daß alle Situationen, die irgendwie eine Bnt-
täusAung am Leben bringen, in denen der MensA siA gekränkt,
zurü&gesetzt fühlt, auA eine Libidostörung in Gefolge haben können,
indem die überstarken, bis dahin in SAranken gehaltenen Trieb-
komponenten vom gesAwäAten IA niAt mehr bewältigt werden
können.
So wird es dem Individuum sAwer, den in jeder Seele
waltenden Sadismus und die Ambivalenz zu beherrsAen. Es wird
mißtrauisA, indem es feindselig wird.
Aber niAt nur aus der TatsaAe der gestörten Libido läßt
siA das Mißtrauen der Tauben erklären.
IA fragte einmal eine Taube, früher treuherzige Person, warum
sie mißtrauisA geworden ist. Sie gab mir zur Antwort: x^Wie kann
iA den MensAen trauen, wenn iA sie niAt höre?« Diese sAeinbar
einfältige Antwort hatte mir jedoA vieles gesagt.
Wir brauAen siAtliA der ständigen WaAe aller unserer Sinne,
um uns vor der Feindseligkeit der Wesen zu sAützen, die uns in
ihren Gefühlen gleiAen.
Alle MensAen werden für uns s-Gettatore«, der x*Mann mit dem
bösen Blick«, wenn wir sie niAt mit dem Ohr kontrollieren können.
IA habe am Anfang erwähnt, daß keiner BeobaAtung die
TatsaAe entgehen kann, daß die MensAheit in den letzten Jahren
so voll Mißtrauen geworden ist. Dieses Mißtrauen drüdct siA in
allen Beziehungen der MensAen zueinander aus, und sAeint eine
der FolgeersAeinungen des Krieges zu sein.
Die Motivierung, daß das Mißtrauen nur eine Reaktion auf
den Verfall der Sitten, auf das zunehmende Stehlen, Rauben und
Morden ist, seine UrsaAe in den realen Gründen der UnsiAerheit
des Daseins hat, genügt unserem psyAoanalytisAen Denken niAt.
IA glaube, es ist niAt so, daß die MensAheit siA in zwei
getrennte Gruppen geteilt hat: Die einen die Stehlen und Morden
— und die anderen, die Mißtrauen haben.
Meiner AnsiAt naA, sind das zwei parallele, gleiAzeitige
ErsAeinungen derselben UrsaAen mit etwas individualisierten
Äußerungen.
 
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