Die Grundlagen der zeichnerischen Begabung hei Marie Bashkirtseff ^37
Kleide ruft sie aus: „Ich hin entzückt von mir. Unter dieser weißen Lein-
wand meine weißen, oh wie weißen Arme! . . . Ich hin hübsch, ich hin
voller Lehen." (I, 70.) Ein paar Wochen früher schreibt sie: „Es ist wahr,
ich hin wirklich hübsch. In Venedig im großen Saal des Palazzo Ducale
stellt das Deckengemälde von Paolo Veronese Venedig in der Gestalt einer
großen, blonden, frischen Frau dar; ich erinnere an dieses Gemälde. Meine
photographischen Bildnisse werden mich nie gut wiedergehen können; es
fehlt die Farbe und meine Frische, meine unvergleichlich weiße Haut sind
das schönste an mir." (I, 63.) ^
Einen Monat später in Firenze hören wir Marie Bashkirtseff zum
erstenmal über künsterische Eindrücke berichten: „Ich schwärme für die
Malerei, für die Skulptur, für die Kunst, wo sie sich auch befindet. Ich
könnte volle Tage in den Bildergalerien verbringen . . . Muß ich es sagen?
Ich traue mich nicht . . . Man wird ein Zetergeschrei erheben! Also im
Vertrauen! Die ,Madonna della Sedia' von Baffael gefällt mir nicht; das
Gesicht der Jungfrau ist blaß, ihre Gesichtsfarbe nicht natürlich, ihr Aus-
druck ist eher der eines Stubenmädchens, als der heiligen Jungfrau, der
Mutter Jesu . . . Oh! aber es ist da eine ,Magdalene' von Tizian, die
mich entzückte. (NB. Marie Bashkirtseff hatte rotblonde Haare.) Aber —
es gibt immer ein aber — sie hat zu starke Fäuste und zu dicke
Hände." (1,72.) Wer die erste Kunstkritik der jungen Marie Bashkirtseft
liest, wird den Einfluß der Art der eigenen Schönheit auf die Ent-
stehung ihres künstlerischen Schönheitsideals kaum übersehen können.
Dieses Schönheitsideal scheint beständig zu sein und als Marie Bash-
kirtseff schon ausübende Künstlerin ist, haben schön gemalte Hände
immer eine große Wirkung auf sie. In dieser Epoche ihres Lehens rückt
die Beschäftigung mit der eigenen Schönheit in den Hintergrund. Sie
gibt sich ganz der Malerei hin, mit einer Wucht, die ihr augenscheinlich
Schönheit wie Gesundheit untergraben hilft. Ihrem Schmerz darüber gibt
1) Auch dem Umstand, daß in Marie Bashkirtseffs Schönheit oder wenigstens
in ihrer Bewertung dieser Schönheit, gerade die Farben eine so große Rolle
spielten (weiße Haut „mit kaum durchschimmernder Röte", rotblondes Haar, Frische
der Farben), muß eine Bedeutung in der Entwicklung zur Malerin zuerkannt werden;
neben der Rolle der Handerotik vielleicht nur eine sekundäre. Sie soll — nach
eigenen und fremden Aussagen — eine bessere Zeichnerin als Malerin gewesen sein.
Jedenfalls deutet aber ihr Entwicklungsgang darauf, daß zur Erklärung ihres „Farben-
sinnes" keine besondere fakultogene Eigenschaft (eventuell erogene Betontheit der
Augen, der Schautätigkeit) vorangesetzt werden muß; ihr Ursprung ist wohl die
Beschäftigung mit den Farben des eigenen Körpers.
Kleide ruft sie aus: „Ich hin entzückt von mir. Unter dieser weißen Lein-
wand meine weißen, oh wie weißen Arme! . . . Ich hin hübsch, ich hin
voller Lehen." (I, 70.) Ein paar Wochen früher schreibt sie: „Es ist wahr,
ich hin wirklich hübsch. In Venedig im großen Saal des Palazzo Ducale
stellt das Deckengemälde von Paolo Veronese Venedig in der Gestalt einer
großen, blonden, frischen Frau dar; ich erinnere an dieses Gemälde. Meine
photographischen Bildnisse werden mich nie gut wiedergehen können; es
fehlt die Farbe und meine Frische, meine unvergleichlich weiße Haut sind
das schönste an mir." (I, 63.) ^
Einen Monat später in Firenze hören wir Marie Bashkirtseff zum
erstenmal über künsterische Eindrücke berichten: „Ich schwärme für die
Malerei, für die Skulptur, für die Kunst, wo sie sich auch befindet. Ich
könnte volle Tage in den Bildergalerien verbringen . . . Muß ich es sagen?
Ich traue mich nicht . . . Man wird ein Zetergeschrei erheben! Also im
Vertrauen! Die ,Madonna della Sedia' von Baffael gefällt mir nicht; das
Gesicht der Jungfrau ist blaß, ihre Gesichtsfarbe nicht natürlich, ihr Aus-
druck ist eher der eines Stubenmädchens, als der heiligen Jungfrau, der
Mutter Jesu . . . Oh! aber es ist da eine ,Magdalene' von Tizian, die
mich entzückte. (NB. Marie Bashkirtseff hatte rotblonde Haare.) Aber —
es gibt immer ein aber — sie hat zu starke Fäuste und zu dicke
Hände." (1,72.) Wer die erste Kunstkritik der jungen Marie Bashkirtseft
liest, wird den Einfluß der Art der eigenen Schönheit auf die Ent-
stehung ihres künstlerischen Schönheitsideals kaum übersehen können.
Dieses Schönheitsideal scheint beständig zu sein und als Marie Bash-
kirtseff schon ausübende Künstlerin ist, haben schön gemalte Hände
immer eine große Wirkung auf sie. In dieser Epoche ihres Lehens rückt
die Beschäftigung mit der eigenen Schönheit in den Hintergrund. Sie
gibt sich ganz der Malerei hin, mit einer Wucht, die ihr augenscheinlich
Schönheit wie Gesundheit untergraben hilft. Ihrem Schmerz darüber gibt
1) Auch dem Umstand, daß in Marie Bashkirtseffs Schönheit oder wenigstens
in ihrer Bewertung dieser Schönheit, gerade die Farben eine so große Rolle
spielten (weiße Haut „mit kaum durchschimmernder Röte", rotblondes Haar, Frische
der Farben), muß eine Bedeutung in der Entwicklung zur Malerin zuerkannt werden;
neben der Rolle der Handerotik vielleicht nur eine sekundäre. Sie soll — nach
eigenen und fremden Aussagen — eine bessere Zeichnerin als Malerin gewesen sein.
Jedenfalls deutet aber ihr Entwicklungsgang darauf, daß zur Erklärung ihres „Farben-
sinnes" keine besondere fakultogene Eigenschaft (eventuell erogene Betontheit der
Augen, der Schautätigkeit) vorangesetzt werden muß; ihr Ursprung ist wohl die
Beschäftigung mit den Farben des eigenen Körpers.