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Massalia's bis in die Zeit der gallischen Eroberung hinaufreichendes Bündnifs mit Rom
hat der römischen Occupation die Wege geebnet. Griechische Kunstübung also
kann leicht unabhängig von dieser zugleich mit den griechischen Waaren in den
Städten und bei den Vornehmen der späteren narbonensischen Provinz festen Fuls
gefafst haben. Brunn glaubte nach dem Eindruck der flotten und sicheren Technik
des Denkmals von Saint-Rcmy, in seinem ganzen architektonischen Aufbau wie in
seinen Bildwerken, den oder die Künstler desselben unbedenklich als Griechen be-
zeichnen zu können. Nach den vorhin erwähnten Ausführungen Conze's wird man
nicht bezweifeln, dafs, wenn auch die Künstler des Denkmals ihrer politischen Zu-
ständigkeit und vielleicht auch ihrem Namen nach Römer gewesen sein sollten (was
ja nicht unmöglich ist), ihre Kunstübung dennoch als letzte Entwickelungsstufc der
in Griechenland und Kleinasien ausgebildeten malerischen Reliefbehandlung anzu-
sehen ist. Dorther entnahmen sie wie die tektonischen Formen des Bauwerks, auf
die ich hier nicht näher einzugehen habe, so die gesammte Formensprache des
bildlichen Schmuckes, den sie dem Denkmal gaben. Alte Gewohnheit ihres Publi-
kums und ihrer Auftraggeber, griechische Symbole auf Waffen und Schmuckgegen-
ständen, vor allem auch an Grabmälern zu sehen und zu verstehen, konnten sie
dabei voraussetzen. So erklärt es sich, dafs trotz der vorhin bezeichneten sehr in-
dividuellen Aufgabe, welche die Künstler zu lösen hatten, dennoch im Ganzen wie
im Einzelnen griechische symbolisch-mythologische Erfindungen die Bilder durch-
ziehen und umgeben, ja sogar, wie sich sogleich ergeben wird, das Grundmotiv für
einzelne derselben abgegeben haben.
Ich betrachte als ein solches symbolisch-mythologisches Element von grie-
chischer Erfindung im Voraus, ehe ich mich zu den einzelnen Reliefbildern wende, den
allen vier gemeinsamen dekorativen Abschlufs, welchen ihnen der von Eroten ge-
tragene Epheukranz mit den bacchischen Masken verleiht. Die von der diony-
sischen Thymele stammenden Embleme der Masken kommen auf Sarkophagen
auch sonst vor mit Beziehungen, denen hier im einzelnen Falle nicht nachzugehen
ist. Statt der wirklichen Kränze, mit denen man die Grabmäler schmückte, er-
scheinen sie auf ihnen auch sonst plastisch ausgeführt als bleibender Zierrath; so
hängt der dicke Kranz aus Epheublättern (mit der Blüte oder Frucht), als welchen
ihn Lohde, wie ich glaube, richtig erkannt hat, wie wirklich um den Altar, der den
Sockel des Denkmals bildet. Nur dafs statt der Nägel, welche die schwere Last
zu tragen hätten, je drei gehügelte Eroten auf jeder Seite sietragen, von reizvollster
Erfindung in den mannigfaltigen Stellungen des Schwebens und Tragens. Ihre
Originale sind sicher in der Bltithezeit der Kunst des vierten Jahrhunderts zu suchen.
Einmal, auf der SO-Seite, ist der mittelste Eros in naiver Weise ganz von hinten
dargestellt. Ähnlich die zwei seitlichen auf der SW-Seite und der 1. auf der NO-
Seite. Die Stellungen der seitlichen bilden meist geschickt gewählte Pendants.
Die bacchischen Masken, die man meist mit Thyrsosstäbcn vereint am Boden oder
sonst wo aufliegend zu sehen gewohnt ist, sind hier unmittelbar auf den Epheukranz
gelegt, offenbar nur um die durch die Bogen desselben entstehenden leeren Räume